„Tag für Tag schwindet die Verleger-Hoffnung ein Stück, das Apple-iPad könnte als digitale Erlös-Quelle den Karren aus dem Dreck ziehen.“ So stellt kress.de eine OC&C-Studie über digitale Vertrieb vor. Dieser Einleitungssatz ist mutmaßlich mehr dem Wunsch geschuldet, einen lesenswerten Einstieg zu schaffen, als er Ergebnis seriöser Beobachtung darstellt. Oder nimmt auch nur ein Tageszeitungsverlag an, dass die Antwort auf sinkende Auflagenzahlen im Print tatsächlich in einer einzigen Applikation liegen?

Das wäre dramatisch. Auflagenverluste im Print durch App-Umsatz kompensieren zu wollen, wäre gleichbedeutend damit, die eigenen „analogen“ Fehleinschätzungen nun auch noch zu digitalisieren und das Pferd wieder von hinten aufzuzäumen. Statt technischen Entwicklungen hinterherzulaufen, müssten wir uns als Tageszeitungen endlich auf unsere Stärken besinnen. Vor allem auf unsere Stärken als lokale Zeitungen. Die Schwierigkeiten dabei manifestieren sich bereits im Sprachgebrauch, ist doch das Synonym für Zeitungen die „Presse“. Damit werden Nachrichtenverarbeitung und Vertriebsweg bereits zusammengefasst, und genau das gilt es zu trennen. Schleunigst.

Den einen, fast ultimativen Vertriebsweg über die Zustellung einer Abo-Zeitung, wie er uns seit bedeutend mehr als 100 Jahr lieb und teuer ist, wird es so auf Dauer nicht mehr geben. Ebenso wenig wird es einen einzigen Ersatz geben, mit dem wir Verluste im Print über einen einzigen Digitalkanal kompensieren können. Tatsächlich werden wir sehr viel kleinteiliger denken und arbeiten müssen, nicht nur grob definierte Zielgruppen im Auge haben müssen, sondern auch einzelne Leser bedienen müssen. Dabei müssen die Ergebnisse übrigens nicht zwingend ausschließlich digitaler Art sein. Vielmehr geht es darum, den eigenen Vorrat an Wissen und Informationen sorgfältiger zu strukturieren und breiter aufgefächert anzubieten.

Ein Beispiel dafür haben die Schaumburger Nachrichten mit der Marke „Leben31“ geliefert. Die „31“ steht für das Postleitzahlgebiet, und die Idee dahinter ist simpel und bestechend. Wenn es eine Chance gibt, ein möglichst großes Maß an Veranstaltungsterminen gesammelt zu finden, sind dies in der Regel Tageszeitungen, und ebenso fast gesetzmäßig haben die Tageszeitungsredaktionen bislang mit diesem enormen Vorrat nichts anderes gemacht, als eine geringe Auswahl an Terminvorschlägen im Tagesprodukt anzubieten. Die Kriterien, nach denen Termine in die Tageszeitungen geraten, und die Präsentationsformen sind ein Thema, dessen Behandlung diesen Blog-Eintrag spielend sprengen würde. Die Schaumburger Nachrichten haben mit „Leben31“ ein Veranstaltungsportal geschaffen, auf dessen Grundlage monatlich zwei Magazine erscheinen. Ein Leben31-Magazin mit einer Veranstaltungsübersicht für Schaumburg und angrenzende Bereiche als Beilage für Abonnenten, und ein Magazin mit dem Titel „Leben 31 Szene“, das sich an jüngere Menschen wendet, die üblicherweise noch keine Abos halten. Zu finden ist das Szene-Magazin dort, wo andere Veranstaltungsmagazine dieser Art ebenfalls zu finden sind: In Veranstaltungsspiel- und Gaststätten, darüber hinaus auch digital. Grundidee dahinter ist die Überlegung von Verlag und Redaktion, vorhandene Informationen zielgruppengenauer und umfassender zu präsentieren, als dieses über Veröffentlichungen in der eigentlichen Tageszeitung überhaupt möglich ist.

„Leben31“ gibt es erst seit einem Vierteljahr, steckt also noch in den Kinderschuhen, und es kann niemals vollständiger Ersatz für die Tageszeitung sein, weder in Erlös- noch Informationsfragen. Vielmehr muss dieses Vorhaben als das gesehen, was es tatsächlich ist:

  1. Der gelungene Versuch, vorhandene Ware, in diesem Fall Veranstaltungsinformationen aller Art, auch tatsächlich anzubieten und nicht in der Datenbank schlummern zu lassen.
  2. Einer von vielen Wegen, veränderten Ansprüchen der Leser, die nicht mehr nur Leser sind, gerecht zu werden.
  3. Ein interessanter Weg, Inhalte gedruckter und digitaler Art miteinander zu verknüpfen.