Aus dem Fall Guttenberg sollten alle Politiker lernen. Dringend. Und schnell. Und noch dringender und noch schneller müssen wir in der Journalistenzunft aus diesen Vorgängen Schlüsse und Lehren ziehen: Es gibt Politik- und Mediengesetzmäßigkeiten 2.0.

Was bislang als Theorie oder technische Spielerei gegolten hat –Redaktionsarbeit mit social media – ist in der Realität vollends angekommen, und das wuchtig. „Das Netz gibt keine Ruhe“, hat die taz getitelt. Stimmt. Die Netzgemeinde hat den Rhythmus vorgegeben, und Minister wie Medien hatten erhebliche Last, dem Tempo zu folgen. Die Lehren, die Politiker daraus ziehen, sind vorerst deren Angelegenheit. Spannender ist ein sehr kurzer Blick auf unsere Rolle als Journalisten in diesem Drama.

Nicht wenige in unserem Metier suggerieren sich, „Volkes Stimme“ zu kanalisieren, nicht nur die Freunde von den vier Versalien. Wer auch immer den Unfug noch geglaubt haben mag, wir seien imstande, eine Art volonte generale zu formulieren, musste sich nun eines Besseren belehren lassen. Es gibt sehr wohl einen – im Fall Guttenberg sogar bemerkenswerten – Unterschied zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung. Erstgenannte hat inzwischen eigene Kanäle gefunden, und wird damit zu einer weiteren, für uns ungewohnten Form veröffentlichter Meinung. Selten dürften Journalisten in der Bundesrepublik so viel Kritik gehört haben in diesem Fall, der juristisch vergleichsweise klar ist und dessen politische Dimension so eindeutig schienen. Unabhängig davon, wie oft und intensiv Umfragen geschönt waren, wie wenig repräsentativ Online-Umfragen insgesamt sind, bleibt eine verblüffend große Zahl von Bürgern, die in diesem besonderen Fall sich nicht über das Fehlverhalten sondern die Berichterstattung darüber geärgert haben. Das soziologische Phänomen für eine derartige Massenbetroffenheit, die uns bereits beim Tod Robert Enkes überrascht haben dürfte, sollen Soziologen untersuchen. Journalisten müssen nur rasch neue Seismographen entwickeln. Nicht, um Stimmungen hinterherzuschreiben, sondern um sich vor Überraschungen zu schützen.