„Einziger Trost: Deutsche Zeitungen können nicht in China zu Dumping-Preisen zusammengeschrieben werden.“ (Cordt Schnibben, SPIEGEL)
Sicher?
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Hui, jetzt – den Fünfer packe ich gleich mal ins Phrasenschwein – rauscht’s aber mächtig im Blätterwald. Die Medienbranche gibt sich tüchtig verblüfft über den Springer-Funke-Deal, und Kollegen, die der Nähe zu Axel Springer bislang vollkommen unverdächtig waren, machen sich nun Gedanken über das verlegerische Vermächtnis des BILD-Gründers. Dazu kommen regelmäßig Meldungen aus Verlagshäusern unterschiedlicher Größe über Stellenabbau, Horrormeldungen über wegbrechende Anzeigenerlöse, Branchendienste ergehen sich nun bereits in Geschichten über Einzelschicksalen, die Unternehmerverbände dieser Branche pfeifen die Ergebnisse der aktuellen Media-Analyse durch den Wald, und die Krönung sind die reflexartigen Äußerungen der Journalisten-Gewerkschaften: „Qualitätsjournalismus hat seinen Preis.“ Das Ganze heißt Zeitungskrise, und der SPIEGEL widmet dem jetzt sein erstes flottes Multi-Channel-Projekt: „2020 – Die Zeitungsdebatte“.
Seine „Elf Vorschläge für bessere Zeitungen“ beginnt Cordt Schnibben so: „Scheinbar unaufhaltsam rauschen die Auflagen der Tageszeitungen nach unten. Seit sich der Springer-Verlag von seinen Regionalzeitungen trennen will, ist die Lage noch kritischer. Elf Vorschläge für lebensverlängernde Maßnahmen.“ Lebensverlängernde Maßnahmen? Und das ist erst der Anfang des Beitrages, der tatsächlich eine Menge Lesenswertes enthält, aber eben auch Fragwürdiges und Falsches. „Lebensverlängernde Maßnahmen“ bedeuten zwar einerseits die Chance auf Fortbestand, andererseits aber eben auch das sichere Ende. Nicht, dass Zeitungen das einzige auf dieser Welt sein müssten, das auf ewig weiterexistiert, aber die Haltung ist sagenwirmal nicht nur hoffnungsfroh. Grandios aber ist das Textfinale: „Einziger Trost: Deutsche Zeitungen können nicht in China zu Dumping-Preisen zusammengeschrieben werden.“ Da ist er wieder, der Grammatik gewordene Reflex. An diesem Satz ist heute schon nichts mehr richtig.
Reflexe nerven. Vielleicht nicht in medizinischer Sicht, aber in einer Debatte unter vermeintlich intellektuellen Zeitgenossen nerven sie. Mächtig. Zeit für ein paar Aspekte, die häufig zu kurz kommen:
„Qualitätsjournalismus hat seinen Preis.“: Der Satz, wie eine Monstranz präsentiert, ist inzwischen so klug wie die Aussage, dass es nachts kälter als draußen sei. Kann sein oder eben auch nicht, und schon die simple Gegenprobe stimmt nicht. Nicht alles, was kostet, ist in unserem Gewerbe auch mit Qualität gleichzusetzen. Nachrichten aus der Tagesschau-Redaktion kosten nicht wenig, und immer weniger Menschen verstehen diese überhaupt. Gut bezahlte Sportredakteure präsentieren mir in der Montagsausgabe jeder beliebigen deutschen Qualitätszeitung (muss die Qualitätszeitung in Anführungszeichen stehen, oder sind diese verzichtbar?) einen 100-Zeiler über das Spitzenspiel der Fußball-Bundesliga am Sonnabendnachmittag. Warum Montag? Warum 100 Zeilen tief gehender Analyse oder vielmehr das, was die Sportredaktion dafür hält? Welche Erkenntnis gewinne ich, die ich als Sportinteressierter nicht bereits am Sonnabendabend hätte? Geht es im Sport und dessen Darstellung nur um Rationalität? Die Antwort darauf hätte ich gern mal ohne Zorn und Eifer. Das soll nicht zum Sportressort-Bashing ausarten, dieses Phänomen gilt für praktisch alle Ressorts. „Der Print-Leser ist der Gefangene des Journalisten.“ Ein wunderbarer Satz in Schnibbens „Elf Vorschlägen“ – wie erwähnt, der Beitrag enthält viel Lesenswertes.
„Nur digital kann der Print-Journalismus langfristig noch neue Leser und neue Erlöse finden, im Netz, auf Tablets und Smartphones. Ohne dieses Eingeständnis hat die Zeitung keine Zukunft.“ (Cordt Schnibben). Wir sollten uns davor hüten, Auflagenverluste gedruckter Ausgaben der Digitalisierung anzulasten. Abonnenten haben wir alle in den zurückliegenden Jahrzehnten verloren, und zwar reichlich und ohne, dass es uns weiter beeindruckt hätte. Mehr als eine Generation von Redakteuren und Verlagskaufleuten hat sinkende Auflagenzahlen praktisch als Naturgesetz begriffen. Mit der kostenlosen Verfügbarkeit unserer Beiträge im Internet haben wir diesen Prozess allerdings noch befördert. Kein Bauer wäre jemals auf die Idee gekommen, nur für in Ein-Liter-Verpackungen abgefüllte Milch Geld zu verlangen und jedem anzubieten, das Zeug kostenlos zu bekommen, wenn man nur selbst mit einer Milchkanne anrücke. Vergleiche hinken? Egal. Wir sind den Weg in den vergangenen zehn, zwölf Jahren genauso gegangen. Der die Begründung dafür mitliefernde Klassiker im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts: „Klicks sind die Währung im Internet.“ Stimmt nicht ganz. Dollar und Euro.
„Qualitätsjournalismus hat seinen Preis.“: In fast allen Darstellungen lese ich immer wieder von den gut ausgebildeten Kollegen, die Qualitätsjournalismus liefern könnten und wollten. Lassen wir das „wollen“ mal beiseite („Der Print-Leser ist der Gefangene des Journalisten“) – reden wir alle von demselben Gewerbe und demselben Land? Es gibt einige hervorragend ausgebildete Redakteure, und die haben ihren Preis. Aber zumeist einen anderen, als uns die Journalisten-Gewerkschaften weismachen wollen. Heutzutage bekomme ich zu fast jedem Preis exzellente Autoren, die für Stundensätze zu arbeiten bereit sind, die eine Hilfskraft in der Burger-Butze locker schlägt. Und wer glaubt, dass eigentlich alle Redakteure gut ausgebildet würden oder seien, sollte sich gelegentlich mal wieder mit der Realität in Berührung bringen.
Der Verkauf von Zeitungstiteln, Konzentrationsprozesse und die Ungewissheit, ob für Nachrichten überhaupt noch Geld zu erwarten ist, all das muss niemandem gefallen. Aber wir erleben nichts, was nicht in anderen Branchen vollkommen normal ist: Konzentrationsprozesse, Verdrängung, das Verschwinden einzelner Produkte und neue Kreationen. Nur haben wir uns in der Zeitungsbranche lange gegen die Erkenntnis gewehrt, dass auch wir den Gesetzen des Marktes unterliegen. Wer das nicht möchte, wird in solch einer Wirtschaftsordnung nur den Weg über öffentlich-rechtliche Einrichtungen oder Stiftungen gehen können – aber mal im Ernst: Redakteur beim NDR? Dann den Weg konsequent gehen und Beamter werden. Es wird Redakteuren nichts anderes übrig bleiben, als tatsächlich sich und ihre „Zunft“ neu zu erfinden. Von mir aus hat Qualitätsjournalismus seinen Preis, wir finden nur immer weniger Kunden, die bereit sind, diesen Preis zu zahlen. Das ist aber nur möglich, wenn wir unsere Kunden nicht mehr als „Gefangene“ betrachten. Zu hoffen, wir könnten in der digitalen Welt Modelle finden wie das Abo der gedruckten Zeitung, ist vielleicht die schwächste Variante, die sogar noch hinter dem Lottospiel rangiert.
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SPIEGEL: „2020 – Die Zeitungsdebatte“
Meedia: „Warum Michalis Pantelouris dem Journalismus den Rücken kehrt“
Thomas Knüwer / Indiskretionehrensache.de: „Springer, Funke und das Schlimmste, das noch kommt“
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