Lesen, Schreiben, Rechnen – die drei elementaren Kulturtechniken, und das galt über viele Jahrhunderte. Dass der Umgang mit Digitalem, wofür das geeignete Zeitwort noch zu fehlen scheint, diese Begriffe zum Quartett ergänzt, ist im Fall Guttenberg offenkundig geworden.
Keine Sorge. Hier geht es nicht um die Grenze zwischen Zitat und Plagiat, nicht um den Grad an Professionalität im Umgang mit Medien – was eigene Betrachtungen wert wäre – und auch nicht um moralische Bewertungen. Interessant ist in diesem Fall die Rolle der Öffentlichkeit im Zusammenspiel mit Medien, die Wechselwirkung zwischen Surfern und Schreibern.
Ob alles im Zusammenhang mit der Guttenberg-Affaire vor 25 Jahren öffentlich geworden wäre, ist fraglich. In jedem Fall hätten die Kollegen in den Redaktionen bedeutend mehr und länger selbst recherchieren und entdecken müssen, als das durch das Zutun der Netzgemeinde in diesem Fall tatsächlich nötig war. Gegen eine solche Form der Demokratisierung kann niemand etwas haben. Nachrichten und deren Recherche werden öffentlicher, als das zu analogen Zeiten der Fall war. Aber auch das hat eine dunklere Seite. Nicht jede Textdoppelung in einer akademischen Arbeit ist zwangsläufig ein Plagiat, und nicht jede scheinbare Verbindung ist ein Kausalzusammenhang. Wer eine wissenschaftliche Arbeit, vor allem über Themen, die nur wenig exklusiv sind, wird zur Problematisierung andere Textquellen heranziehen müssen. Das ist per se kein Plagiat, und welche Stellen in der Guttenberg-Diss abgekupfert sind, welche der Problematisierung dienen, ist ein Bereich, um den sich Wissenschaftler kümmern müssen, vor allem Juristen aus Bayreuth. Aber nicht jede Textstelle, die in mehreren Publikationen auffindbar ist, muss unbedingt Diebstahl geistigen Eigentums sein. Ebenso scheint der Zusammenhang zwischen der Positionierung der BILD-Redaktion und einem Anzeigenauftrag an dieses Springer-Blatt nach derzeitigem Stand fraglich. Geschmäckle – ja. Mehr ist nach heutigem Stand nicht herstellbar.
Das bedeutend größere Mal an Öffentlichkeit in solchen Vorgängen, fußend auf dem Zugang zu Internetveröffentlichungen, macht die drängende Notwendigkeit nach Veränderungen in Ausbildung und Arbeitsweisen offenkundig. Dingend nötig ist ein Schulfach Medienkunde, nötiger als noch vor einem Vierteljahrhundert, um wenigstens eine kleine Chance erkennbar werden zu lassen, dass nicht auf allen Internetplattformen gesichertes Wissen durch ehrliche Empörung, wahlweise blinde Hetze ersetzt wird. Darüber hinaus müssen gerade Printprodukte sehr schnell ihren Rhythmus ändern. Den Takt geben nicht mehr die Rotationen vor, sondern die Veröffentlichungen von Amateuren im Internet. Diesen müssen wir im Fall Guttenberg für unbeschreiblich viele Detailhinweise dankbar sein. Deren Beobachtungen können aber nicht unsere professionelle Recherche ersetzen, die immer schneller veröffentlicht werden müssen.
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