Ralf Sotscheck gehört zu den Unikaten. Allerdings in welcher Branche? Er ist Journalist, Buchautor und Vortragskünstler. Als Korrespondent der taz für Irland und Großbritannien versorgt er Deutschland mit aktuellen Nachrichten und vor allem informativen Hintergrundgeschichten von den beiden Inseln, in Buchform gegossen gibt’s seine zahlreichen Glossen, und immer wieder schreibt er auch ungemein interessante Beiträge, die das Sujet „Reiseführer“ an dessen Grenzen bringen.
Am Mittwoch, 4. Dezember, liest Sotscheck in der „Alten Polizei“ in Stadthagen. Beginn: 20 Uhr. Eintritt: 5 Euro. Billetts gibt’s nur an der Abendkasse. Viel Vergnügen.
Ein Meilenstein auf dem Weg zur Weltherrschaft der komischen Kunst, vielleicht der entscheidende Schritt: Das wirklich allerschönste Museum der Welt auf dem allerschönsten Messestand der Welt bei der Buchmesse in Frankfurt. Live und in Farbe. Lesungen, Signierstunden und – überraschend – Bücher am Stand des caricatura-museums.
’s wieder Montag: Zeit, etwas Nettes zu lesen: Dubliner Stampede, beispielsweise. Aus der taz.
Wie heißt druckfrisch eigentlich auf 2.0?
Mehr über Ralf Sotscheck in den Schaumburger Nachrichten:
Der NFS-Gentleman hat sich und seine Freunde portraitiert. Wun-der-bar. „Die 8 von der Neuen Frankfurter Schule“ hat Hans Traxler sein neues Bild genannt, und fortan soll das gemalte Elchkritiker-Ensemble das NFS-Pantheon zieren – das allerschönste Museum der Welt.
Der komplette Herrenzimmer-Text.
Der Beitrag auf der caricatura-Seite.
Das allerschönste Museum der Welt.
Die Kritiker genarrt und wieder Erfolg – dafür kann schon mal ein Pseudonym herhalten. Der ganze Text im Guardian.
von Christoph Oppermann
Dieses Selbstbildnis ist verräterisch: Wilhelm Busch malte sich in holländischer Tracht – und zwar so, als hätte ein Altmeister des 17. Jahrhunderts zum Pinsel gegriffen. Den holländischen und flämischen Klassikern eiferte er tatsächlich nach, spätestens, nachdem ihn sein Ausbildungsweg von Düsseldorf nach Antwerpen geführt hatte. Genrebilder entstanden, lebenspralle Szenen in bräunlichen Tönen und stimmungsvolle Landschaften. Doch wirken diese Gemälde epigonal. Anerkennung blieb Busch denn auch versagt. Ein gescheiterter Maler, so fing es an.“ Gescheiterter Maler – ein harsches Urteil. Gefällt hat es Volkhard App vor einigen Jahren in einem Beitrag für „DeutschlandRadio Berlin“ anlässlich einer Busch-Ausstellung in Oldenburg.
Dasselbe Werk, andere Perspektive – der Busch-Biograf Martin Tschechne schreibt über das „Selbstbildnis in holländischer Tracht“: „Ein Bild belegt die Tragik einer Künstlerexistenz.“ In diesem Selbstportrait berufe sich Busch überdeutlich auf die großen flämischen Vorbilder, die ihn einst als Student bis zur Lähmung beeindruckt hätten. Und weiter: „Die Malerei sah er fortan nur noch als private Zuflucht – berühmt und wohlhabend aber wurde er als Erfinder und Vorreiter eines Genres, dessen künstlerischen Wert er nie recht akzeptieren mochte: der schnellen, pointierte Karikatur, der launigen Bildergeschichte, des Comic Strip.“ Sehr traditioneller Ansatz – das wäre eine mögliche Wertung Busch’scher Frühwerke im Ressort Malerei. Rückwärts gewandt – ein noch härteres Urteil. Da wirkt der aktuelle Ausstellungstitel des Busch-Museums in Hannover „Avantgardist aus Wiedensahl“ fast wie eine Provokation.
Am 15. April jährt sich Wilhelm Buschs Geburtstag zum 175. Mal. Anlass genug, sich mit dem Mann aus Wiedensahl auseinanderzusetzen. Eines vorweg: Es gibt – mit ziemlicher Sicherheit – keinen ultimativen Zugang zum „Weisen aus Wiedensahl“, keinen Schlüssel, der alles erklärt, alle Widersprüche auflöst. Das macht die Auseinandersetzung mit dem Zeichner, Dichter und vor allem mit dem Maler so interessant. Im Wilhelm-Busch-Jahr werden Einsteigern und Kennern zahlreiche Möglichkeiten geboten, sich über den Wiedensahler zu informieren, sich mit dessen umfangreichen Werk und der gelegentlich sperrig wirkenden Biografie auseinanderzusetzen. Vier dieser zahlreichen Wege scheinen dabei besonders viel zu versprechen.
Vor zwei Jahren hat Martin Tschechne eine brillante Biografie veröffentlicht: „Auf den Spuren von Wilhelm Busch.“ Sicherlich nichts für Puristen. Tschechne ist Journalist durch und durch, und so setzt sein Buch vor allem auf Verständlichkeit, ohne dabei zu vereinfachen. Seine Stärken sind präzise Beobachtung und eine Sprache, die den Leser an allen Entdeckungen, Rückschlüssen und Vermutungen teilhaben lässt.
Einen weiteren Zugang eröffnet der im vergangenen Jahr verstorbene Robert Gernhardt mit seiner Doppel-CD „Ein dreifach Tusch für Wilhelm Busch.“, die bereits vor einigen Jahren erschienen ist. Der Busch-Preisträger 2006 beschäftigt sich – sein Hörbild ist gegliedert in vier Abschnitte – mit dem Satiriker, dem Humoristen und dem Komiker Wilhelm Busch. Das allein lohnte die Anschaffung der CD allemal, doch spannend ist der Anhang. Im Gespräch mit Heiner Boehnke erklärt Gernhardt kurz, knapp, pointiert und zudem sehr unterhaltsam, was den Zeichner, den Dichter und den Maler Busch ausmacht. Kein Kunstgeschichts-Studium vonnöten und dennoch fundiert.
Der Geburtsort Buschs – Wiedensahl – ist die dritte Variante, Zugang zur Mehrfachbegabung Busch zu finden. Umschauen, erleben aufnehmen – das gibt schon einen Eindruck davon, wie die Bilder und Geschichten zustande gekommen sind, die später kulturelles Allgemeingut geworden sind.
Der vierte Weg führt über Hannover. Dort stellt das Wilhelm-Busch-Museum zu Ehren seines Patrons Zeichnungen und Bilder in gleich zwei Ausstellungen aus. Unter dem Motto „Pessimist mit Schmetterling“ werden mehrere hundert Gemälde, Zeichnungen und Drucke unter den Ausstellungstiteln „So viel Busch wie nie“ – was auch quantitativ durchaus wörtlich genommen werden darf – und „Avantgardist aus Wiedensahl“ zur Schau gestellt.
Was aber ist avantgardistisch an einem Mann, dem gleich zwei Kritiker bescheinigen, sich vor allem an der flämischen Schule ausgerichtet, gar epigonal gemalt zu haben? Tschechne schreibt in den „Spuren“: „Busch und die Malerei – das ist ein ewiger Kreislauf von Aufbruch und Entmutigung.“ Er zitiert Busch: „Ich befinde mich hier in Antwerpen sehr wohl u. kann mich nicht genug freuen, daß ich hier mit meinen Malstudien den Anfang gemacht habe. Jedenfalls lerne ich hier in einem halben Jahr eben so viel als ich Düßeldorf in einem ganzen gelernt haben würde.“ Soweit 1852 der junge Kunststudent über seine Aussichten. Als Maler jedenfalls hat er keinen Weltruhm erlangt.
„Nun ja, also als Maler ist er, wenn man so will, gescheitert“, attestiert Gernhardt im Gespräch mit Boehnke dem von ihm sehr verehrten Busch. „Er hat, glaube ich, in seinem Leben kein Bild verkauft.“ Und über die Bilder des Vorgängers äußert sich – in einem einige Jahre zurückliegenden Urteil, also ohne Bezug auf die aktuelle Ausstellungen in Hannover – der Frankfurter Kritiker, der, nebenbei, selbst einmal Malerei studiert hatte, dann aber wie Busch als Zeichner, Humorist und Dichter berühmt wurde: „Dass es jetzt ein Wilhelm-Busch-Museum gibt, dass die zeigt, ist sehr verdienstvoll, aber natürlich würde man die nicht in der Weise ausstellen, wenn es nicht den genialen Zeichner, komischen Zeichner Busch gäbe.“
Das Ganze hat in der Tat die von Tschechne beschriebene Tragik, den Hinweis darauf gibt Busch selbst in der letzten Fassung seines Selbstportraits „Von mir über mich“ von 1894: „Nachdem ich mich schlecht und recht durch den Antikensaal hindurchgetüpfelt hatte, begab ich mich nach Antwerpen in die Malschule, wo man, so hieß es, die alte Muttersprache der Kunst immer noch erlernen könne. In dieser kunstberühmten Stadt sah ich zum ersten Male die Werke alter Meister: Rubens, Brouwer, Teniers, Frans Hals. Ihre göttliche Leichtigkeit der Darstellung malerischer Einfälle, verbunden mit stofflich juwelenhaftem Reiz; diese Unbefangenheit eines guten Gewissens, welches nichts zu vertuschen braucht; diese Farbenmusik, worin man alle Stimmen klar durchhört, vom Grundbaß herauf, haben für immer meine Liebe und Bewunderung gewonnen.“ Und an anderer Stelle seiner knappen Autobiografie: „Von Lüthorst ging ich nach München. Indes in der damaligen akademischen Strömung kam mein flämisches Schiffchen, das wohl auch schlecht gesteuert war, nicht recht zum Schwimmen.“
Das wohl, dort hat aber Busch auch zu einer völlig neuen Darstellungsform gefunden, diese geprägt, die bis dahin unbestritten gültige Spaltung von Bild- und Wortkunst überwunden. Busch über das Entstehen der später so weltberühmten Bildergeschichten in „Von mir über mich“: „Die Situationen gerieten in Fluß und gruppierten sich zu kleinen Bildergeschichten, denen größere gefolgt sind. Fast alle hab ich, ohne wem was zu sagen, in Wiedensahl verfertigt.“
In Fluss geraten indes ist dabei noch sehr viel mehr. Busch hat nicht nur Genre-Grenzen überwunden, Dicht- und Zeichenkunst miteinander vereinigt, sondern den Grundstein für völlig neue Darstellungsformen gelegt. Gernhardt beschreibt auf der „Tusch“-Aufnahme, wie Busch die Grundlage für spätere Comics schuf: „Und so hat er ja unendlich viele Figuren, also er hat ja einen ganzen Kosmos von Figuren in die Welt gesetzt und die alle noch animiert. Also das ist etwas, was dann später ja in die Technik, in die Filmsprache übergegangen ist, die Animation, also das Beseelen, das hat er mit seinen stehenden Bildern gemacht, die wären ja auch ganz leicht ins Laufen zu bringen, also die könnte man als Eckphasen für einen Trickfilm benutzen. Er hat ja auch sehr, sehr filmisch gesehen schon, bevor es den Film überhaupt gab. Er hat die Großaufnahme eingesetzt, er hat die Totale eingesetzt, er hat also leise Schwenks eingesetzt, das müsste man allerdings im Fernsehen einmal vorführen, wie er da gearbeitet hat.“ Dabei habe, so Gernhardt, einen „traumwandlerisch sicheren“ Strich gehabt, sei ein „Naturgenie des Zeichnens“ gewesen und habe mit komischer Kunst vieles vorweg genommen, was die Hochkunst erst im 20. Jahrhundert eingeholt habe. Die beiden weltberühmten Lausbuben zum Beispiel, die durch den Kamin ins Mehl gefallen sind, Kopf nach unten, das sei ein vorweggenommener Baselitz. Dabei habe Busch jedoch nie eine Figur oder Idee zu Tode geritten und als Hochkomiker „unglaublich redlich gearbeitet“.
Das Witzige an Gernhardts Witz ist, dass man nie weiß, wo die Ernsthaftigkeit endet und die Parodie beginnt. Genau wie bei Busch. Der Gedanke aber ist es wert, weiter gesponnen zu werden: Weltruhm mit neuer Kunst, neuem Ansatz. Nur: Wie zufrieden konnte Busch damit sein? Der Begriff „brotlose Kunst“ kommt nicht von ungefähr, wenn er auch beim Wiedensahler überhaupt nicht zutrifft, haben den doch seine Bildergeschichten und die Dichtung nicht nur zu einem berühmten, sondern auch zu einem wohlhabenden Mann gemacht. Aber komische Kunst? Heute noch nur wenig gut beleumundet, kaum, dass das Feuilleton – von Gernhardt, Waechter und Bernstein vielleicht abgesehen – davon überhaupt Kenntnis nimmt, geschweige denn hat. Eckhard Henscheid hat einmal Klage darüber geführt, dass kaum ein Dutzend Feuilletonisten in Deutschland überhaupt zwischen Humor, Satire, Komik, Parodie und anderen Spielarten zu unterscheiden wisse. Das wird zu Buschs Zeit kaum besser gewesen sein.
Erfolgreich ja, bekannt – unbedingt. Wenn es auch sonst keine Bücher in einem deutschen Haushalt gibt, das Backbuch von Dr. Oetker und ein Busch-Hausalbum werden sich immer finden. Aber ernsthafte Anerkennung? Busch hat sich auch nicht weiter darum bemüht, seine Bilder nicht der öffentlichen Kritik gestellt. Nie gab es zu Lebzeiten eine Ausstellung, und verkauft, wie Gernhardt vermutete, hat er auch nichts. Deshalb ist der Titel der zweiten aktuellen Ausstellung in Hannover – „So viel Busch wie nie – völlig berechtigt. „Nur ganz wenige Menschen, die ihm nahe standen, wussten, dass er nicht nur Bildergeschichten zeichnete, sondern ein ernsthafter Maler war“, lässt sich der Direktor des Wilhelm-Busch-Museums, Hans Joachim Neyer, zitieren.
Das ist heute noch so. Und wenn auch jeder Zeitgenosse Buschs dessen Entwicklung als Schöpfer einzigartiger Bildergeschichten verfolgen konnte, ist der Umstand, dass Busch auch in der Malerei ein Erfinder war, bis heute weitgehend unbekannt geblieben. Dabei sind – vielleicht nicht in demselben Maße, wie bei der Erfindung des Genres Bildergedicht – auch dort Dinge in Fluss geraten. Sorgsam und naturgetreu sind die frühen Zeichnungen und Bilder. Viele Zitate und Anleihen an frühere Epochen der Kunstgeschichte finden sich dort, auch für den Laien leicht zu ermitteln. Vor allem die Liebe zur flämischen Malerei bricht sich immer wieder Bahn, zumindest in den frühen Bildern.
Später aber gibt es zwei Bewegungen in Busch-Bildern, die scheinbar auf ein Zentrum hinsteuern: Die Formate werden kleiner, der Strich stärker. Das Ergebnis sind Bilder von beeindruckender Expressivität, und schließlich, gegen 1890, malt Busch in einem Maße abstrakt, dass es auch Fachleuten schwer fällt zu entscheiden, ob ein Bild hoch oder quer zu hängen ist. „Bäuerin im Stall/Sonnenaufgang“ ist ein Bild betitelt, das in der Tat beide Deutungen zulässt, abhängig davon, ob das Bild quer (Sonnenaufgang) oder hoch (Bäuerin im Stall) angebracht ist. Die Museumsbesucher können das selbst auch anhand einer Reproduktion des Bildes „Waldlichtung mit Rotjacke“ ausprobieren. Dinge geraten in Fluss. Zum Schluss zeichnet Busch abstrakt in einem Maße, wie es in der europäischen Malerei erst etwa 30 Jahre später, Anfang des 20. Jahrhunderts, en vogue war.
Und noch in einer weiteren Sparte war Busch seiner Zeit weit voraus. Als Maler, Zeichner und Erfinder des Comics wird er in den aktuellen Ausstellungen im Busch-Museum ausführlich gewürdigt. Auch die „vierte Dimension“, Busch als Prosa-Autor, wird aufgearbeitet, ist als Installation fast selbst Kunst. „Eduards Traum“, Buschs surreales Prosawerk – auch darin seiner Zeit eine Reihe von Jahren voraus -, hat im Auftrage des Museums Eckhard Siepmann zu einer Installation verarbeitet, die sich über drei Kabinette erstreckt. Das ist nicht nur aufregend umgesetzt, sondern erleichtert den Zugang zu diesem so verschlüsselten Werk ungemein.
Von spätem Ruhm haben Verstorbene in der Regel nichts. Zudem steht auch gar nicht zu befürchten, dass der Wiedensahler nachträglich in Reihe mit Rubens und Hals gerückt wird. Buschs 175. Geburtstag und die damit einhergehenden Ausstellungen, Veröffentlichungen und Würdigungen bieten jedoch die Chance, sich nicht nur mit dem Erfinder des Comic Strips auseinanderzusetzen, sondern auch kunstgeschichtlich Spannendes zu erfahren. Egal, ob man sich für flämische Malerei oder schnell gezeichnete Konturwesen begeistert, die den Gesetzen der Schwerkraft trotzen.
Veröffentlicht am 16. Juli 2005 in den Schaumburger Nachrichten
Von Christoph Oppermann
Vorbemerkung: „Hochverehrter Herr! Wie ich anfang soll weiß ich nicht recht – denn von Leuten, die Sie zu kennen vorgeben, sind mir schwere Verhängnisse in Aussicht gestellt, wenn ich Ihnen mein Anliegen unterbreite. Aber schließlich ist es doch kein Verbrechen, wenn man einem Menschen sagt, wie sehr man ihn bewundert und liebt und welch unvergeßliche Stunden man ihm verdankt.“ Leicht scheint es dem Redakteurskollegen vom „Berliner Tageblatt“ nicht gefallen zu sein, Wilhelm Busch um ein paar Zeilen anlässlich dessen 70. Geburtstages zu bitten. Damals konnte sich Busch zur Wehr setzen, hielt Journalisten und Gratulanten auf Distanz, sogar den Kaiser fertigte er buchstäblich im Telegrammstil ab. Scheinbar unzählige Autoren – Kenner und Laien – haben sich an Busch versucht und abgearbeitet. Den einen Schlüssel, der zu allen Hintergedanken, Absichten, Anspielungen Zugang gibt, hat niemand gefunden. So werden die zum Lebensende immer vertrackter und verschlüsselter scheinenden Geschichten ebenso wenig endgültig zu erklären sein wie der phantastische Erfolg, den der Kaufmannssohn aus Wiedensahl gehabt hat. Er bleibt ein Mensch voller Rätsel und Widersprüche – ein Versteckspieler.
Neben den Streichholzschachteln liegt eine Papiertüte in der Vitrine. Auf der Fensterbank darüber stehen ein blechernes Bierfässchen und eine überdimensionierte Bierflasche. Alle zieren Motive aus der Bildergeschichte „Max und Moritz“. Bierdeckel in der nächsten Vitrine, darunter kleine Behälter mit Kaffeesahne. Richtig, auch die versehen mit „Max und Moritz“ en miniature. In einem weiteren Schaukasten reiht sich eine Ausgabe an die nächste – wieder „Max und Moritz“. In Lettisch und Ukrainisch, in schwedischer und isländischer Sprache, auf Finnisch und Esperanto, im Kohlenpott-Slang und Pfälzer Dialekt.
Bis vor kurzer Zeit waren die Ausstellungsstücke im Souterrain des Hauses von Jobst Wöbbeking in Beckedorf zu finden. Wöbbeking ist leidenschaftlicher Sammler: Scheinbar ist jede Sorte bedruckbarer Gegenstände bereits einmal mit einem Motiv von Wilhelm Busch versehen worden, vornehmlich mit Szenen aus der Geschichte von „Max und Moritz“. Einen Teil seiner umfangreichen Kollektion hat Wöbbeking dem Wilhelm-Busch-Geburtshaus in Wiedensahl bereits vermacht. Jetzt packt der pensionierte Lehrer und passionierte Busch-Kenner wieder Kisten – weitere Ausstellungstücke für die Busch-Gedenkstätte in Wiedensahl. Wöbbeking ist nicht nur Sammler, sondern Kenner. Mit der „Bubengeschichte in sieben Streichen“ hat er sich besonders intensiv auseinandergesetzt.
Wilhelm Busch ist Anfang 1865 32 Jahre alt und würde nach heutigen Maßstäben als nicht sonderlich erfolgreich bezeichnet werden. Nach zeitgenössischen Kriterien ebenso wenig. Ein Maschinenbaustudium in Hannover hat er abgebrochen, zwei Versuche, an Kunstakademien Fuß zu fassen, mit sich selbst unzufrieden beendet. In Wolfenbüttel hält er um die Hand der 17 Jahre alten Anna Richter an, doch deren Vater gilt er als Hungerleider. Aus der Hochzeit wird nichts. Außerdem hat er wirtschaftlich wirklich keinen Erfolg.
Von 1858 an hatte Busch mit dem Verleger Caspar Braun zusammengearbeitet. Der zahlte miserabel, und Busch wollte die Verbindung lösen. Er offerierte eine Bildergeschichte dem Dresdener Heinrich Richter, doch auf Intervention seines berühmten Maler-Vaters Ludwig Richter lehnte der junge Verleger ab. Pech gehabt. Denn jetzt übte sich Busch im Kotau vor Braun: „Mein lieber Herr Braun! … Ich schicke Ihnen nun hier die Geschichte von Max und Moritz, die ich zu Nutz und eignem Plaisir auch gar schön in Farben gesetzt habe, mit der Bitte, das Ding recht freundlich in die Hand zu nehmen und hin und wieder ein wenig zu lächeln. Ich habe mir gedacht, es ließe sich als eine Art kleiner Kinder-Epopoe vielleicht für einige Nummern der fliegenden Blätter und mit entsprechender Textveränderung auch für die Bilderbögen verwenden.“, schrieb Busch am 5. Februar 1965 aus Wiedensahl. Braun war cleverer. Er machte ein ganzes Buch daraus, fand Busch mit 1000 Gulden ab – und verdiente selbst eine Menge Geld damit. Über die Gründe mag man spekulieren – zum 70. Geburtstag 1902 überwies der Verlag Busch noch einmal 20 000 Goldmark, doch der war längst nicht mehr darauf angewiesen und leitete die späte Zahlung zu gleichen Teilen an das Clementinenhaus und das Henriettenstift – Krankenhäuser in Hannover – weiter.
Eines bleibt unklar: Wann genau sind die sieben Streiche erschienen? Der WDR hat bereits am 4. April den „Stichtag 140 Jahre Max und Moritz“ gemeldet. In seinem Buch „Der Versteckspieler – Die Lebensgeschichte des Wilhelm Busch“ nennt Herbert Günther hingegen den Juli 1865 als Veröffentlichungstermin. Belege scheint es nicht zu geben, bestenfalls Indizien, denn die Unterlagen des Verlages Braun & Schneider sind, so Busch-Kenner Wöbbeking, am 7. Januar 1945 bei einem Bombenangriff auf München zerstört worden. Wahrscheinlicher als der April-Termin ist die Auslieferung zu einem späteren Zeitpunkt. Knapp 100 Zeichnungen umfasst die Sieben-Streiche-Geschichte, die er seitenverkehrt auf Holzstücke zeichnen musste. Buschs spätere Aussagen über die Produktionszeit anderer Arbeiten lassen den Schluss zu, dass die Bilder von „Max und Moritz“ kaum in zwei Monaten entstanden sein können, zumal Druck und Buchbinderarbeiten nicht berücksichtigt sind.
Klar ist indes zweierlei: Die Geschichte der beiden Rotzlöffel ist kein reines Produkt des „Lustwandelns in den Laubengängen des intimeren Gehirns“. Außerdem ist die „Bubengeschichte“ nicht nur eines der bekanntesten Bücher der Welt, sondern war stilbildend.
„Hier war er frei. Hier tollte Heinrich, Christian Wilhelm Busch, geboren am 15. April 1832 zu Wiedensahl im Königreich Hannover, als Kind mit den anderen aus dem Dorf herum, den Hütejungen, den Bauernmädels. … Hierher kehrte er auch immer wieder, als das Leben ihm den einen oder anderen Streich gespielt hatte, als er ein skeptischer, illusionsloser, bisweilen sarkastischer und dennoch am Ende heiter-amüsierter Beobachter des menschlichen Treibens geworden war“, schreibt der aus Hannover stammende Autor und Journalist Martin Tschechne in seinem Buch „Auf den Spuren von Wilhelm Busch“. Nur: Vor der Rückkehr steht der Weggang, im Falle Buschs sogar besonders früh. Das Elternhaus in Wiedensahl wurde zu eng, als Wilhelm neun Jahre alt war. Seine Eltern schickten ihn zum Onkel Georg Kleine, der Pastor in Ebergötzen war. So bitter die Trennung von Eltern und Geschwistern gewesen sein mag, im Nachhinein war der Umzug ein Glücksfall. Dem klassischen Bild eines norddeutschen Pfarrers lutherischer Prägung kann Kleine kaum entsprochen haben. Weltoffen, tolerant, neu- und wissbegierig – so ist er und dazu hält er seinen Neffen an. Und unterstützt diesen bei den ersten Zeichenversuchen, die außergewöhnliches Talent offenbaren. „Warum eigentlich hat noch niemand diesem Georg Kleine ein Denkmal gesetzt? Eine Schule nach ihm benannt? Weil er nur praktisch bewiesen hat, was viel später erst theoretisch ausformuliert wurde? Dass Genie nämlich Anregung braucht, entfaltet werden muss“, schreibt Tschechne in seinem kürzlich erschienen Busch-Band. Und nicht nur Wilhelm Busch kommt in den Genuss privater Unterrichtsstunden, die so gar nichts mit dem Prügel-Frontal-Unterricht zu tun haben, der zu der Zeit üblich war. Gleich bei seiner Ankunft begegnet er dem Sohn des Mühlenbesitzers, und er freundet sich mit Erich Bachmann an. Max und Moritz haben sich in Ebergötzen getroffen.
Völlig ungetrübt indes sind auch die Jahre im Pastorenhaushalt des Onkels nicht gewesen. Erfahrungen mit dem Tod gehörten dazu, und auch eine „Jagdreise“, die Busch von seinem Onkel bekommen hat. Eine wohlbemerkt, und die auch eher symbolisch als körperlich schmerzhaft. Vielleicht ist sie ihm deshalb so gut in Erinnerung geblieben. Prägend indes waren andere Erfahrungen: Das gemeinsame Lernen mit dem Freund Erich Bachmann, der Unterricht des Onkels und der Zugang zu neuen Dimensionen im Denken. Dazu die Erlebnisse mit Freund Erich beim Spielen, die zumindest teilweise Eingang in die Geschichten von Max und Moritz gefunden haben. Einige Prägungen bleiben erhalten und sichtbar. Die Freundschaft zu Bachmann hält ein Leben lang. Bachmann ist am 12. August 1907 gestorben, Busch am 9. Januar 1908. Der Kontakt ist nicht nur nicht abgerissen. Beide haben Anteil am Leben des anderen genommen, Belege dafür gibt es reichlich. Zeitlebens bleibt Busch einer bemerkenswerten Lebensform zugewandt. Obwohl Zweifler, Skeptiker und mit einem gelegentlich problematischem Verhältnis zur Kirche behaftet, lebt er fast ausschließlich in Pastorenhaushalten, die meistens kleine niedersächsische Häuser sind. Ausflüge in „die große, weite Welt“ enden häufig mit Enttäuschung, manchmal sogar im Eklat. Fluchtpunkte bleiben immer die kleinen norddeutschen Pfarrhäuser, in denen seine Familie lebt, und mehr als sechs Jahrzehnte eben Wiedensahl. „Hier sind die allermeisten seiner Geschichten entstanden“, hat Gerhard Dreyer, Vorsitzender des Förderkreises Wilhelm Busch Wiedensahl vor wenigen Tagen bei einer Feierstunden erwähnt – zu Recht. Haben sich Max (Erich Bachmann) und Moritz (Wilhelm Busch) auch in Ebergötzen kennengelernt – Gestalt haben die beiden Figuren in der Abgeschiedenheit Wiedensahls bekommen. Dorthin war Busch nach erfolglosen Aufenthalten in Hannover, Düsseldorf und München zurückgekehrt. Vielleicht waren die eigenen Ansprüche zu hoch – als Kunstmaler hat er sich selbst nicht genügt. Enttäuscht wieder in Wiedensahl angekommen, kultivierte er die Bildergeschichte als Darstellungsform mit den sieben Streichen als letztlich großartigem Erfolg. Den „Nebenwegen“ der Kunst ist er treu geblieben, ziemlich zumindest. Ausflüge hat er immer wieder unternommen in die „ernsthafte Malerei“, in die Dichtung, aber der Maßstab – das war „Max und Moritz“. Keine seiner Arbeiten war wirtschaftlich hinterher solch ein Erfolg – in diesem Fall leider nicht für den Urheber, der war ja mit 1000 Gulden abgefunden. Die Darstellung zweier Jungen voller Streiche und Bosheit hat den Künstler aus Wiedensahl weltberühmt gemacht.
Jobst Wöbbeking hat recherchiert. In mehr als 120 deutsche Dialekte und plattdeutsche Sprachformen sind demzufolge die sieben Streiche, die böse, böse für die beiden Jungen enden, übersetzt worden, außerdem in 200 Fremdsprachen und Dialekte. Damit sei „Max und Moritz“ das Kinderbuch mit der weltweit größten Verbreitung. Teilweise skurril Anmutendes ist das Resultat dieser Verbreitung. Die Streiche und Straftaten sind juristisch gewürdigt worden, Mediziner haben sich der Geschichte angenommen, Psychologen die beiden Rüpel analysiert. Auch die studentenbewegte 68er-Generation, die vor nichts zurückschreckte, nicht einmal vor der Regierungsübernahme in Berlin, hat die Geschichte aus Wiedensahl adaptiert und – folgerichtig – in „Marx und Maoritz“ umbenannt. Aber auch für handfestere Behandlung musste die Geschichte herhalten. Vor allem gastronomische Betriebe haben die dauernde Behandlung Buschs kulinarischer Genüsse und menschlicher Schwächen aufgegriffen und die Ergüsse Busch’scher Zeichenkunst zu Werbefiguren umgearbeitet. Außerdem haben sich Versicherungen der Figuren bedient und Autohäuser, Brauereien und Spielehersteller. Sogar die hannoversche Üstra hat mit dem Begriff „Omnibusch“ geworben, und auch „TottoLotto“ hat sich beim „Weisen aus Wiedensahl“ bedient. Gibt es eigentlich Werbefiguren, die weiter verbreitet sind?
Stilbildend mit Wirkung bis in die Gegenwart ist Buschs „Max und Moritz“-Geschichte allemal gewesen. Nicht nur, dass er den Comic strip erfunden hat – in New York sind schnell die „Katzenjammer Kids“ erschienen, eine klare Adaption der niedersächsischen Geschichte. Auch bis heute gebräuchliche Lautmalereien haben mit dem Buch weite Verbreitung erfahren: „Max und Moritz, gar nicht träge, / Sägen heimlich mit der Säge, / Ritzeratze! voller Tücke / In die Brücke eine Lücke.“ „Doch die Käfer, kritze, kratze! / Kommen schnell aus der Matratze.“ Ziemlich viel Wirkung für 1000 Gulden.
Was aber hat den Erfolg gerade dieser Geschichte ausgemacht? Perfekte Reime sind es nicht, manches kommt holperig daher, zur Meisterschaft hat er diese literarische Form erst in späteren Werken gebracht. Auch die Bilder waren später häufig noch pointierter. Vielleicht, weil er sich nicht klüger gab, als er es seinen Lesern zubilligte. Busch-Kenner Wöbbeking beschreibt das so: „Busch zeigt Max und Moritz als Inkarnation eines triebhaften Lebenswillens, der in Schopenhauers Philosophie eine große Rolle spielt. Nach Buschs Meinung leben Kinder nun einmal ihre Vitalität noch ungezügelt und spontan aus. Wilhelm Busch, und daran besteht kein Zweifel, hat in seiner Geschichte, die allzu sichere, aber im Inneren morsche und verspießte Gesellschaft der Kleinbürger auf ironische Weise aufgedeckt und kritisiert.“ Beispiel gefällig? „Fließet aus dem Aug’, ihr Tränen! / All mein Hoffen, all meinen Sehnen. / Meines Lebens schönster Traum / Hängt an diesem Apfelbaum!“ Hier betrauert niemand den Tod nahester Verwandter, die Witwe Bolte beklagt den Verlust ihres Federviehs.
Es gibt keine Formel, die das Phänomen Busch erklärt. Er bietet für viele etwas, ohne beliebig zu sein. Vor allem Anreiz, sich wieder einmal mit dem wohl bekanntesten Kinderbuch der Welt zu beschäftigen. 140 Jahre sind für ein zeitloses Thema kein Alter.
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