Helle Aufregung in der Lebensmittelbranche und im Einzelhandel: Feinkost-Alfred hat eine Paywall eingeführt. Fortan, heißt es aus der Unternehmenskommunikation des Discounter-Riesen, seien alle Angebote im Sortiment bezahlpflichtig. Feinkost-Alfred begründet diese Bezahlschranke mit der Ausweitung des Angebotes auf hochwertige Produkte, allerdings sollen auch die sogenannten Billigmarken nun nicht mehr gratis erhältlich sein.
In der Branche sowie in der Öffentlichkeit hat die Bezahlschranke für Empörung gesorgt und zum Teil bittere Reaktionen. Ein wehr.dich-Sprecher verurteilte die neue Erlösquelle als unmoralisch. „Jeder hat ein Recht auf Nahrung, das kann nicht vom Einkommen abhängen.“ Er kritisierte darüber hinaus den Zeitpunkt kurz vor dem Weihnachtsgeschäft und den Versuch des Discounters, die Bezahlschranke ohne Ankündigung einzuführen: „Das ist Abzocke durch die buchstäblich kalte Küche.“ Und: „Jetzt werden Menschen sogar im Supermarkt zur Kasse gebeten.“ Der wehr.Dich-Bundesvorstand wolle nun über andere Finanzierungs- und Verteilungsmodelle nachdenken. Denkbar sei beispielsweise, Lebensmitteldiscounter auf Stiftungsbasis zu führen.
Empört gaben sich auch Vertreter der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland. Für Lebensmittel Geld zu verlangen, sei unmoralisch, überhaupt Geld von jemanden zu verlangen, ohnehin schon fragwürdig. Allerdings mussten Sprecher der Katholischen Bischofskonferenz und der EKD einräumen, dass beide Institutionen selbst nicht nur zusätzliche Einnahmen in namhafter Höhe aus Vermietung, Verpachtung und Dienstleistungsgeschäften zu verzeichnen hätten, sondern auch im „Kerngeschäft“ – nämlich nach den üblichen Sonntagsmatineen – mit Nachdruck Spenden erbäten. „Das sind aber nur lousy pennies“, antwortete ein Kirchensprecher auf die Frage, was die Sonntagskollekte durchschnittlich ergibt, und rechtfertigte die Sammlung mit dem Hinweis „Es arbeitet schließlich niemand für Gottes Lohn.“ Religiös motivierte Kritik an der Bezahlpflicht im Supermarkt kam auch von der Backwahn-Sekte, die sich nun in der Ausübung ihres Glaubens behindert sieht.
In einem schnellen Kurzkommentar rechtfertige Deutschlands größte Boulevard-Zeitung die Paywall des Discount-Riesen mit dem Hinweis, dass in den USA schon längst jeder Bürger für Burger und andere Lebensmittel zahlen müsse. Das hätten die leitenden Mitarbeiter während des Studienaufenthaltes im Silicon Valley anfangs leidvoll erfahren müssen, sich aber später von den Vorteilen dieses Erlösmodells überrascht gezeigt. Auch die britische Tesco-Kette bereite die Bezahlschranke im Stillen schon vor. Die publizistische Alternativ-Avantgarde in Berlin konterte diesen Kommentar mit einer ebenso raschen Umdeutung der Kunst am eigenen Bau an der Rudi-Dutschke-Straße sowie dem Satz: „Das ist uns Latte.“
Bereits jetzt scheint die Bezahlschranke Vorbildcharakter für die gesamte Lebensmittelbranche zu haben. Die im höherpreisigen Segment angesiedelte Ebenda-Kette will sogar individuelle Preise für jeden Kunden ermitteln, wogegen „Prima leben und sterben“ (Plus) eine Flatrate im Abo konzipiert hat. Auch gegen die Ebenda-Pläne gibt es bereits Widerstand, überraschenderweise von der Lehrergewerkschaft GEW. „Individuelle Preise an der Supermarktkasse – das ist Stigmatisierung und kann gerade bei Kindern zu traumatischen Schäden führen“, heißt es in einer Pressenotiz der Pädagogenvereinigung. Über mögliche Streik-Aktionen gegen die Einführung von Lebenshaltungskosten und deren Individualisierung wolle man in der Lehrergewerkschaft unbedingt ein Stück weit diskutieren.
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