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Christoph Oppermann / Medienblog

Autor: Christoph Oppermann (Seite 16 von 16)

Der Demokraten-Hype

Nicht nur gegen einen ordentlichen demokratischen Aufstand habe ich nichts. Auch nichts gegen die Begeisterung, die die Anti-Mubarak-Bewegung, in Europa entfacht. Aber fremd bleibt dabei einiges.

Mir ist aus den vergangenen Jahren und Jahrzehnten kein Leitartikel, kein Kommentar, keine Magazingeschichte erinnerlich, die die mangelnden Demokratie-Grundlagen in Ägypten thematisiert hätte. Im Gegenteil: Ägypten unter Mubarak, das war common sense und offizielle Lesart, war Garant für zumindest etwas Stabilität im Nahen Osten. Innerhalb weniger Tage ist aus dem Garanten nicht nur eine persona non grata auf der politischen Bühne geworden, selbst seriöse Titel haben aus dem Sadat-Nachfolger fast buchstäblich über Nacht einen Diktator, sogar Despoten gemacht. Derlei Berichterstattung ist nicht schlüssig.

 

 

JuLe: Junge Menschen erreichen

Wie machen wir aus jungen Menschen künftige Zeitungsleser und hoffentlich auch Abonnenten der Zukunft? Diese Frage bewegt die Branche nicht erst seit kurzer Zeit, doch haben die Diskussionen dazu in den vergangenen Monaten erheblich an Dynamik gewonnen, nämlich seit der BDZV und TBM JuLe, die Initiative Junge Leser, aus der Taufe gehoben haben.

Das erste JuLe-Treffen von Kollegen aus Redaktionen und Verlagen hat eines deutlich gezeigt: Wir suchen Auswege vornehmlich im Printbereich: mit Jugendredaktionen, ZiSch-Aktionen und vor allem Jugendseiten in den Zeitungen. Offenkundig haben wir nicht nur die falschen Antworten, sondern beschäftigen uns auch mit den falschen Fragen.

Dazu wieder ein paar Thesen als Fortsetzung des ersten JuLe-Textes:

  1. Wenn der Kunde nicht zum Angebot kommt, müssen wir dem (jungen) Kunden unsere Ware direkt bis auf den Computer, das iPhone, das iPad liefern.
  2. Unser Job ist nicht primär das Bedrucken von Papier, sondern das Sammeln, Verfassen, Verarbeiten und Veröffentlichen von Nachrichten.
  3. Wir wollen aus jungen Menschen Abonnenten von morgen machen, statt diese als Partner, User und mögliche Kunden von heute zu betrachten. Warum wollen wir erst mit 30-Jährigen in eine Geschäftsbeziehung treten, nicht aber mit 20-Jährigen?
  4. Anders als noch vor wenigen Jahren gibt es heute mehr Möglichkeiten, junge Menschen direkt zu erreichen. Standen Verlagen und Redaktionen vor wenigen Jahren – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nur Printprodukt und eine Internetseite zu Verfügung, gibt es heute zahlreiche weitere Vertriebskanäle in den social media. Von konsequenter Nutzung dieser Möglichkeiten in den Verlagshäusern kann derzeit gar keine Rede sein.
  5. Die Verlängerung gedruckter und auf Internetseiten der Zeitungen veröffentlichter Beiträge über Facebook, Twitter und andere social media ist nur der erste Schritt weiterer Kunden- und Leserwerbung.
  6. Redaktionen und Verlage haben bedeutend mehr Ware vorrätig, als sie tatsächlich anbieten: Terminübersichten, Bildergalerien, maßgeschneiderte digitale Informationspakete statt nur einer Zeitung für alle. Zeitungen mit Ticketshops können von der Veranstaltungsankündigung bis zum e-Ticket alles aus einer Hand liefern.
  7. Wir müssen uns auf immer kürzere Technik-Intervalle einrichten. Vor zwei, drei Jahren waren die VZ-Anwendungen und MySpace das Maß der digitalen Dinge, derzeit ist es Facebook, und niemand kann derzeit sicher vorhersagen, auch welcher Plattform sich (junge) Menschen in zwei Jahren tummeln.
  8. Wenn wir als Tageszeitungsverlage diese Angebote authentisch machen wollen, müssen wir uns von vielen Gewissheiten und Grundlagen unserer täglichen Arbeit verabschieden: vom sechs-Tage-Rhythmus, der gerade das für Lokalzeitungen hochinteressante Wochenende unterbelichtet lässt; vom einmaligen Update unseres Angebotes mit der Drucklegung in der Nacht; vom Schreiben für alleine einen Kanal und nur eine undefinierte Zielgruppe.

Thesen zu Problemen bei und mit Jugendseiten.

 

 

 

 

 

Probleme bei und mit Jugendseiten

Endlich einmal versuchen Zeitungsverlage, mit Blick auf den Jugendmarkt und junge Erwachsene im Focus, ihre Kompetenzen und Ressourcen zu bündeln. Hier ein Fazit nach zehn Jahren in der Praxis einer kleinen Tageszeitung. Welchen Effekt hat eine Jugendseite in der Tageszeitung? Die vermeintliche Bilanz ist tatsächlich eine Thesensammlung und reizt hoffentlich zum Widerspruch. Das komplette Papier gibt es für JuLe-Mitglieder in Kürze auf der JuLe-Plattform.

Fazit / Thesen:

  1. Die Seite hat keine erkennbare Relevanz bei der Zielgruppe. Auch nach einigen Jahren hat sich das Label der Seite nicht als Jugendmarke etablieren können.
  2. Jugendredaktionen als Urheber von Jugendseiten funktionieren nur in Ballungsräumen, nicht jedoch in Mittelzentren, weil die Zahl derer, die zur Mitarbeit bereit und fähig sind, prozentual zu niedrig ist, außerdem die Bereitschaft zur dauerhaften Bindung und Mitarbeit gegen jeden soziologisch feststellbaren Trend liefe.
  3. Die Zielgruppe ist vollkommen ungenau definiert: Wollen wir Abonnenten von morgen oder Kunden von heute gewinnen? Oder beides?
  4. Angebot und dessen Struktur sind noch vollkommen ungenau definiert.
  5. Wir sind immer noch vollständig alten Denkstrukturen verhaftet: Wir sind eine Zeitung, und wir versuchen, junge Leute und Tageszeitung übereinzubringen.
  6. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass junge Menschen, die üblicherweise keine Zeitung zur Hand nehmen, dieses ohne Anreiz an einem bestimmten Wochentag tun sollten in der Hoffnung, auf einmal versteckt im Produkt eine Seite zu finden, die mit für junge Menschen interessanten Inhalten bestückt sein könnte. Die Hoffnung auf Realitätstauglichkeit dieser Annahme konkurriert stark mit dem Selbstbetrug, man selbst sei statistisch nur noch wenige Wochen von „6 Richtigen mit Zusatzzahl“ entfernt.
  7. Jugendseiten in Zeitungen sind Erfindungen und Lieblingskinder von Redakteuren, Verlegern und Sponsoren. Mit dem Rezeptionsverhalten zahlreicher Zielgruppen haben solche Ghettoseiten tatsächlich nur wenig zu tun.

Lösungsansätze gibt es bereits, und diese scheinen auch praktikabel. Mehr dazu später.

Der Zeit voraus

Busch Selbst

von Christoph Oppermann

Dieses Selbstbildnis ist verräterisch: Wilhelm Busch malte sich in holländischer Tracht – und zwar so, als hätte ein Altmeister des 17. Jahrhunderts zum Pinsel gegriffen. Den holländischen und flämischen Klassikern eiferte er tatsächlich nach, spätestens, nachdem ihn sein Ausbildungsweg von Düsseldorf nach Antwerpen geführt hatte. Genrebilder entstanden, lebenspralle Szenen in bräunlichen Tönen und stimmungsvolle Landschaften. Doch wirken diese Gemälde epigonal. Anerkennung blieb Busch denn auch versagt. Ein gescheiterter Maler, so fing es an.“ Gescheiterter Maler – ein harsches Urteil. Gefällt hat es Volkhard App vor einigen Jahren in einem Beitrag für „DeutschlandRadio Berlin“ anlässlich einer Busch-Ausstellung in Oldenburg.

Dasselbe Werk, andere Perspektive – der Busch-Biograf Martin Tschechne schreibt über das „Selbstbildnis in holländischer Tracht“: „Ein Bild belegt die Tragik einer Künstlerexistenz.“ In diesem Selbstportrait berufe sich Busch überdeutlich auf die großen flämischen Vorbilder, die ihn einst als Student bis zur Lähmung beeindruckt hätten. Und weiter: „Die Malerei sah er fortan nur noch als private Zuflucht – berühmt und wohlhabend aber wurde er als Erfinder und Vorreiter eines Genres, dessen künstlerischen Wert er nie recht akzeptieren mochte: der schnellen, pointierte Karikatur, der launigen Bildergeschichte, des Comic Strip.“ Sehr traditioneller Ansatz – das wäre eine mögliche Wertung Busch’scher Frühwerke im Ressort Malerei. Rückwärts gewandt – ein noch härteres Urteil. Da wirkt der aktuelle Ausstellungstitel des Busch-Museums in Hannover  „Avantgardist aus Wiedensahl“ fast wie eine Provokation.

Am 15. April jährt sich Wilhelm Buschs Geburtstag zum 175. Mal. Anlass genug, sich mit dem Mann aus Wiedensahl auseinanderzusetzen. Eines vorweg: Es gibt – mit ziemlicher Sicherheit – keinen ultimativen Zugang zum „Weisen aus Wiedensahl“, keinen Schlüssel, der alles erklärt, alle Widersprüche auflöst. Das macht die Auseinandersetzung mit dem Zeichner, Dichter und vor allem mit dem Maler so interessant. Im Wilhelm-Busch-Jahr werden Einsteigern und Kennern zahlreiche Möglichkeiten geboten, sich über den Wiedensahler zu informieren, sich mit dessen umfangreichen Werk und der gelegentlich sperrig wirkenden Biografie auseinanderzusetzen. Vier dieser zahlreichen Wege scheinen dabei besonders viel zu versprechen.

Vor zwei Jahren hat Martin Tschechne eine brillante Biografie veröffentlicht: „Auf den Spuren von Wilhelm Busch.“ Sicherlich nichts für Puristen. Tschechne ist Journalist durch und durch, und so setzt sein Buch vor allem auf Verständlichkeit, ohne dabei zu vereinfachen. Seine Stärken sind präzise Beobachtung und eine Sprache, die den Leser an allen Entdeckungen, Rückschlüssen und Vermutungen teilhaben lässt.

Einen weiteren Zugang eröffnet der im vergangenen Jahr verstorbene Robert Gernhardt mit seiner Doppel-CD „Ein dreifach Tusch für Wilhelm Busch.“, die bereits vor einigen Jahren erschienen ist. Der Busch-Preisträger 2006 beschäftigt sich – sein Hörbild ist gegliedert in vier Abschnitte – mit dem Satiriker, dem Humoristen und dem Komiker Wilhelm Busch. Das allein lohnte die Anschaffung der CD allemal, doch spannend ist der Anhang. Im Gespräch mit Heiner Boehnke erklärt Gernhardt kurz, knapp, pointiert und zudem sehr unterhaltsam, was den Zeichner, den Dichter und den Maler Busch ausmacht. Kein Kunstgeschichts-Studium vonnöten und dennoch fundiert.

Der Geburtsort Buschs – Wiedensahl – ist die dritte Variante, Zugang zur Mehrfachbegabung Busch zu finden. Umschauen, erleben aufnehmen – das gibt schon einen Eindruck davon, wie die Bilder und Geschichten zustande gekommen sind, die später kulturelles Allgemeingut geworden sind.

Der vierte Weg führt über Hannover. Dort stellt das Wilhelm-Busch-Museum zu Ehren seines Patrons Zeichnungen und Bilder in gleich zwei Ausstellungen aus. Unter dem Motto „Pessimist mit Schmetterling“ werden mehrere hundert Gemälde, Zeichnungen und Drucke unter den Ausstellungstiteln „So viel Busch wie nie“ – was auch quantitativ durchaus wörtlich genommen werden darf – und „Avantgardist aus Wiedensahl“ zur Schau gestellt.

Was aber ist avantgardistisch an einem Mann, dem gleich zwei Kritiker bescheinigen, sich vor allem an der flämischen Schule ausgerichtet, gar epigonal gemalt zu haben? Tschechne schreibt in den „Spuren“: „Busch und die Malerei – das ist ein ewiger Kreislauf von Aufbruch und Entmutigung.“ Er zitiert Busch: „Ich befinde mich hier in Antwerpen sehr wohl u. kann mich nicht genug freuen, daß ich hier mit meinen Malstudien den Anfang gemacht habe. Jedenfalls lerne ich hier in einem halben Jahr eben so viel als ich Düßeldorf in einem ganzen gelernt haben würde.“ Soweit 1852 der junge Kunststudent über seine Aussichten. Als Maler jedenfalls hat er keinen Weltruhm erlangt.

„Nun ja, also als Maler ist er, wenn man so will, gescheitert“, attestiert Gernhardt im Gespräch mit Boehnke dem von ihm sehr verehrten Busch. „Er hat, glaube ich, in seinem Leben kein Bild verkauft.“ Und über die Bilder des Vorgängers äußert sich – in einem einige Jahre zurückliegenden Urteil, also ohne Bezug auf die aktuelle Ausstellungen in Hannover – der Frankfurter Kritiker, der, nebenbei, selbst einmal Malerei studiert hatte, dann aber wie Busch als Zeichner, Humorist und Dichter berühmt wurde: „Dass es jetzt ein Wilhelm-Busch-Museum gibt, dass die zeigt, ist sehr verdienstvoll, aber natürlich würde man die nicht in der Weise ausstellen, wenn es nicht den genialen Zeichner, komischen Zeichner Busch gäbe.“

Das Ganze hat in der Tat die von Tschechne beschriebene Tragik, den Hinweis darauf gibt Busch selbst in der letzten Fassung seines Selbstportraits „Von mir über mich“ von 1894: „Nachdem ich mich schlecht und recht durch den Antikensaal hindurchgetüpfelt hatte, begab ich mich nach Antwerpen in die Malschule, wo man, so hieß es, die alte Muttersprache der Kunst immer noch erlernen könne. In dieser kunstberühmten Stadt sah ich zum ersten Male die Werke alter Meister: Rubens, Brouwer, Teniers, Frans Hals. Ihre göttliche Leichtigkeit der Darstellung malerischer Einfälle, verbunden mit stofflich juwelenhaftem Reiz; diese Unbefangenheit eines guten Gewissens, welches nichts zu vertuschen braucht; diese Farbenmusik, worin man alle Stimmen klar durchhört, vom Grundbaß herauf, haben für immer meine Liebe und Bewunderung gewonnen.“ Und an anderer Stelle seiner knappen Autobiografie: „Von Lüthorst ging ich nach München. Indes in der damaligen akademischen Strömung kam mein flämisches Schiffchen, das wohl auch schlecht gesteuert war, nicht recht zum Schwimmen.“

Das wohl, dort hat aber Busch auch zu einer völlig neuen Darstellungsform gefunden, diese geprägt, die bis dahin unbestritten gültige Spaltung von Bild- und Wortkunst überwunden. Busch über das Entstehen der später so weltberühmten Bildergeschichten in „Von mir über mich“: „Die Situationen gerieten in Fluß und gruppierten sich zu kleinen Bildergeschichten, denen größere gefolgt sind. Fast alle hab ich, ohne wem was zu sagen, in Wiedensahl verfertigt.“

In Fluss geraten indes ist dabei noch sehr viel mehr. Busch hat nicht nur Genre-Grenzen überwunden, Dicht- und Zeichenkunst miteinander vereinigt, sondern den Grundstein für völlig neue Darstellungsformen gelegt. Gernhardt beschreibt auf der „Tusch“-Aufnahme, wie Busch die Grundlage für spätere Comics schuf: „Und so hat er ja unendlich viele Figuren, also er hat ja einen ganzen Kosmos von Figuren in die Welt gesetzt und die alle noch animiert. Also das ist etwas, was dann später ja in die Technik, in die Filmsprache übergegangen ist, die Animation, also das Beseelen, das hat er mit seinen stehenden Bildern gemacht, die wären ja auch ganz leicht ins Laufen zu bringen, also die könnte man als Eckphasen für einen Trickfilm benutzen. Er hat ja auch sehr, sehr filmisch gesehen schon, bevor es den Film überhaupt gab. Er hat die Großaufnahme eingesetzt, er hat die Totale eingesetzt, er hat also leise Schwenks eingesetzt, das müsste man allerdings im Fernsehen einmal vorführen, wie er da gearbeitet hat.“ Dabei habe, so Gernhardt, einen „traumwandlerisch sicheren“ Strich gehabt, sei ein „Naturgenie des Zeichnens“ gewesen und habe mit komischer Kunst vieles vorweg genommen, was die Hochkunst erst im 20. Jahrhundert eingeholt habe. Die beiden weltberühmten Lausbuben zum Beispiel, die durch den Kamin ins Mehl gefallen sind, Kopf nach unten, das sei ein vorweggenommener Baselitz. Dabei habe Busch jedoch nie eine Figur oder Idee zu Tode geritten und als Hochkomiker „unglaublich redlich gearbeitet“.

Das Witzige an Gernhardts Witz ist, dass man nie weiß, wo die Ernsthaftigkeit endet und die Parodie beginnt. Genau wie bei Busch. Der Gedanke aber ist es wert, weiter gesponnen zu werden: Weltruhm mit neuer Kunst, neuem Ansatz. Nur: Wie zufrieden konnte Busch damit sein? Der Begriff „brotlose Kunst“ kommt nicht von ungefähr, wenn er auch beim Wiedensahler überhaupt nicht zutrifft, haben den doch seine Bildergeschichten und die Dichtung nicht nur zu einem berühmten, sondern auch zu einem wohlhabenden Mann gemacht. Aber komische Kunst? Heute noch nur wenig gut beleumundet, kaum, dass das Feuilleton – von Gernhardt, Waechter und Bernstein vielleicht abgesehen – davon überhaupt Kenntnis nimmt, geschweige denn hat. Eckhard Henscheid hat einmal Klage darüber geführt, dass kaum ein Dutzend Feuilletonisten in Deutschland überhaupt zwischen Humor, Satire, Komik, Parodie und anderen Spielarten zu unterscheiden wisse. Das wird zu Buschs Zeit kaum besser gewesen sein.

Erfolgreich ja, bekannt – unbedingt. Wenn es auch sonst keine Bücher in einem deutschen Haushalt gibt, das Backbuch von Dr. Oetker und ein Busch-Hausalbum werden sich immer finden. Aber ernsthafte Anerkennung? Busch hat sich auch nicht weiter darum bemüht, seine Bilder nicht der öffentlichen Kritik gestellt. Nie gab es zu Lebzeiten eine Ausstellung, und verkauft, wie Gernhardt vermutete, hat er auch nichts. Deshalb ist der Titel der zweiten aktuellen Ausstellung in Hannover – „So viel Busch wie nie – völlig berechtigt. „Nur ganz wenige Menschen, die ihm nahe standen, wussten, dass er nicht nur Bildergeschichten zeichnete, sondern ein ernsthafter Maler war“, lässt sich der Direktor des Wilhelm-Busch-Museums, Hans Joachim Neyer, zitieren.

Das ist heute noch so. Und wenn auch jeder Zeitgenosse Buschs dessen Entwicklung als Schöpfer einzigartiger Bildergeschichten verfolgen konnte, ist der Umstand, dass Busch auch in der Malerei ein Erfinder war, bis heute weitgehend unbekannt geblieben. Dabei sind – vielleicht nicht in demselben Maße, wie bei der Erfindung des Genres Bildergedicht – auch dort Dinge in Fluss geraten. Sorgsam und naturgetreu sind die frühen Zeichnungen und Bilder. Viele Zitate und Anleihen an frühere Epochen der Kunstgeschichte finden sich dort, auch für den Laien leicht zu ermitteln. Vor allem die Liebe zur flämischen Malerei bricht sich immer wieder Bahn, zumindest in den frühen Bildern.

Später aber gibt es zwei Bewegungen in Busch-Bildern, die scheinbar auf ein Zentrum hinsteuern: Die Formate werden kleiner, der Strich stärker. Das Ergebnis sind Bilder von beeindruckender Expressivität, und schließlich, gegen 1890, malt Busch in einem Maße abstrakt, dass es auch Fachleuten schwer fällt zu entscheiden, ob ein Bild hoch oder quer zu hängen ist. „Bäuerin im Stall/Sonnenaufgang“ ist ein Bild betitelt, das in der Tat beide Deutungen zulässt, abhängig davon, ob das Bild quer (Sonnenaufgang) oder hoch (Bäuerin im Stall) angebracht ist. Die Museumsbesucher können das selbst auch anhand einer Reproduktion  des Bildes „Waldlichtung mit Rotjacke“ ausprobieren. Dinge geraten in Fluss. Zum Schluss zeichnet Busch abstrakt in einem Maße, wie es in der europäischen Malerei erst etwa 30 Jahre später, Anfang des 20. Jahrhunderts, en vogue war.

Und noch in einer weiteren Sparte war Busch seiner Zeit weit voraus. Als Maler, Zeichner und Erfinder des Comics wird er in den aktuellen Ausstellungen im Busch-Museum ausführlich gewürdigt. Auch die „vierte Dimension“, Busch als Prosa-Autor, wird aufgearbeitet, ist als Installation fast selbst Kunst. „Eduards Traum“, Buschs surreales Prosawerk – auch darin seiner Zeit eine Reihe von Jahren voraus -, hat im Auftrage des Museums Eckhard Siepmann zu einer Installation verarbeitet, die sich über drei Kabinette erstreckt. Das ist nicht nur aufregend umgesetzt, sondern erleichtert den Zugang zu diesem so verschlüsselten Werk ungemein.

Von spätem Ruhm haben Verstorbene in der Regel nichts. Zudem steht auch gar nicht zu befürchten, dass der Wiedensahler nachträglich in Reihe mit Rubens und Hals gerückt wird. Buschs 175. Geburtstag und die damit einhergehenden Ausstellungen, Veröffentlichungen und Würdigungen bieten jedoch die Chance, sich nicht nur mit dem Erfinder des Comic Strips auseinanderzusetzen, sondern auch kunstgeschichtlich Spannendes zu erfahren. Egal, ob man sich für flämische Malerei oder schnell gezeichnete Konturwesen begeistert, die den Gesetzen der Schwerkraft trotzen.

 

 

 

Wülfel, Wölpinghausen, Wiedenbrügge, Wankdorf

Veröffentlicht am 3. Juni 2006 in den Schaumburger Nachrichten

Von Christoph Oppermann

„Sie haben einen Stein ins Rollen gebracht.“ Heinz Stege und Heinrich Kläfker haben Unterlagen herausgesucht: Auszüge aus einer alten Namensliste von 1945, einen Mitgliedsausweis des Sportvereins „Blau-Weiß“ Wölpinghausen, die Reproduktion einer 60 Jahre alten Fotografie. Die beiden Wölpinghäuser sitzen im Wohnzimmer von Heinz Stege und erinnern sich an eine Zeit und Umstände, die heute fast unvorstellbar scheinen. „Der hat unter dem Namen Berwanger gespielt“, sagt Heinz Stege. Der, das ist Jupp Posipal. Einer der „Helden von Bern“, der Weltmeister von ’54 hat in der Seeprovinz Fußball gespielt. Nicht lange, nicht oft, aber unter kuriosen Umständen.

Geboren wurde Josef Posipal am 20. Juni 1927 in Lugoj/Rumänien. Seinen Vater Peter – ein Donauschwabe – verlor er früh, seine Mutter war Ungarin. Das klingt noch nicht besonders bemerkenswert, sollte aber später noch von Bedeutung sein. In Lugoj besuchte er das Gymnasium und kam mit 16 Jahren nach Hannover-Wülfel ins Eisenwerk. „Natürlich war es Zwang“, meint Posipals Frau Gisela. „Er musste nach Hannover. Entweder wäre er zur Wehrmacht gekommen oder man musste ins Rüstungswerk nach Deutschland. Das waren die zwei Möglichkeiten, und da hat die Mutter entschlossen: Du gehst nach Deutschland ins Rüstungswerk. Und da wurde er dann für Hannover zugeteilt.“ Sie selbst kenne diese Zeit in Jupp Posipals Leben „nur aus Erzählungen. Wir haben uns hier in Hamburg erst 1949 kennengelernt.“ Die unfreiwillige Zeit in Hannover war Gesprächsthema beim Ehepaar Posipal. Die in Hamburg lebende Witwe des Weltmeisters von ’54 erinnert sich an die Schilderungen aus dieser Zeit: „Da sind sie dann so in eine Jugendherberge gekommen und haben dort bis zum Kriegsende gelebt – alle, die aus Rumänien kamen.“ Und die Einschätzung über die Zeit: „Sie war sehr hart, nicht genug zu essen, als junger Mensch ist es ja das Wichtigste. Es fehlte natürlich das Elternhaus, die gewohnte Umgebung.“ Sie erinnert daran, dass ihr Mann bereits als 16-Jähriger das Elternhaus habe verlassen müssen.

Ob Lager oder Jugendherberge – die Schilderungen unterschiedlicher Zeitzeugen differieren nur unerheblich. Auf jeden Fall gab es eine „Lagermannschaft“ mit dem Namen „Weißer Adler“. Einer der Akteure war Jupp Posipal.

Schwer nachzuvollziehen ist der Ablauf der Monate direkt nach Kriegsende. Sicher scheint: Posipal spielte am Stadtrand Hannovers für den Badenstedter SC. „Der Jupp ging ab wie eine Rakete“ erinnerte sich im vergangenen Jahr noch Posipals früherer Mannschaftskollege Werner Engelke. Zu dieser Zeit tauchte der spätere Weltauswahlspieler auch zum ersten Mal in Schaumburg auf.

In der Saison ’45/’46 habe Posipal für den Sportverein „Blau-Weiß“ Wölpinghausen gespielt, erinnern sich Heinz Stege und Heinrich Kläfker. Wie oft allerdings, darin werden sich die beiden nicht einig. „Zwei-, dreimal“, meint Heinz Stege, Heinrich Kläfker weicht nur unwesentlich ab: „Das war nicht viel. Ich schätze vier Spiele. Der lief ja nicht unter Posipal, sondern unter Berwanger.“ Honorarfrei blieben die „Gastauftritte“ der hannoverschen Spieler nicht. Heinrich Kläfker erinnert sich: „Wenn die Hannoveraner kamen, hier spielten, gingen wir heimlich auf den Boden, schnitten Wurst ab. Die gaben wir nach dem Spiel den Lagerspielern.“

Es müssen mehrere Spieler gewesen sein, die direkt nach Kriegsende „Blau-Weiß“ verstärkt haben. Unter welchen Umständen die Fußballer nach Wölpinghausen gekommen sind, ist nur schwer nachvollziehbar. Heinz Stege erklärt, dass Wilhelm Adelmann, damals Vorsitzender des Sportvereins, „gute Kontakte zur Besatzungsmacht“ gehabt habe. „Der hat auch für die 1. Mannschaft Fußballschuhe besorgt. War ’ne Sensation.“ „Das war alles recht primitiv damals“, lässt Heinrich Kläfker das Fußballspielen unmittelbar nach Kriegsende Revue passieren. Einer der Akteure habe sogar barfuß gespielt, „ein ganz rauer Geselle.“

Gut erinnern können sich die beiden Wölpinghäuser aber noch an ein Auswärtsspiel. Das war gegen Liekwegen auszutragen. 2:0 habe es bereits nach einer Viertelstunde gestanden – für das Team aus der Seeprovinz, zum Schluss war Liekwegen 6:2 geschlagen. Gemeinsam mit der Mannschaft sind Anhänger nach Liekwegen damals gefahren, auch daran erinnern sich die beiden hervorragend. Posipal sei sehr dünn gewesen, und Steege erinnert sich an seine Reaktion auf die Mannschaftsaufstellung: „Mensch, den stellen sie als Mittelläufer auf – der bricht doch gleich zusammen.“ Und Heinrich Kläfker ergänzt das Bild von Posipal, das sein Vereinsfreund Steege vor Augen hat: „Da war doch kein Fleisch an den Waden.“

Posipal ist allen Zeitzeugen – sei es in Hannover oder Schaumburg – gut in Erinnerung geblieben: als vielseitiger Spieler und talentierter Fußballer. Aber prominent war er noch längst nicht. Vor dem Sieg im Wankdorf-Stadion gab es noch eine Stationen – allerdings auch in der Nähe. Vom Badenstedter SC wechselte Posipal 1946 zu Linden 07, später zu Arminia Hannover.

Gisela Posipal erinnert sich auch diese Schilderungen ihres Mannes gut: Während der Zeit bei Linden 07 habe er bei einem netten Ehepaar ein möbliertes Zimmer gehabt. „Die hatten keine Kinder. Da hat er sich dann ein bisschen geborgen gefühlt.“ Und: „Er hat gedolmetscht im Lager, auch am Gericht gedolmetscht, wenn da irgendwelche Probleme waren, von Ungarisch und Rumänisch in Deutsch.“ Sein eigentlicher Aufstieg als Fußballer begann erst bei Arminia Hannover, dort bestritt er zwischen 1947 und 1949 42 Oberligaspiele. Und er traf auf seinen späteren Förderer: „Er hat das Glück gehabt, dass er Schorsch Knöpfle kennengelernt hat, der ihn ja nach Arminia Hannover geholt hat und ihn dann geformt hat. Und der hat ihn auch mit zum HSV genommen. Und hier hat er sich sehr wohl gefühlt in Hamburg. Er hätte nie den Gedanken gehabt, den Verein zu verlassen und woanders hinzugehen, auch wenn da Angebote waren.“ Knöpfle wechselte 1949 als Trainer zum Hamburger SV und nahm Posipal mit. Offensichtlich ein Glücksfall. Bereits 1953 wurde Jupp Posipal als einziger Deutscher in eine FIFA-Weltauswahl berufen, die aus Anlass des 90-jährigen Bestehens des englischen Fußballverbandes für ein Spiel zusammengestellt worden war. Ein Jahr darauf spätestens ist Menschen in Schaumburg und Hannover klar geworden, welch Riesentalent in der Region unmittelbar nach Kriegsende gespielt hat. Völlig frei von Problemen war diese Zeit nicht. Posipal wurde von Sepp Herberger für ein Länderspiel nominiert – und durfte nicht antreten. Es gab Schwierigkeiten mit der Staatsangehörigkeit, erinnert sich Gisela Posipal: „Nein, er hat einen rumänischen Pass gehabt.“ Einen deutschen Pass „hat er erst zum ersten Länderspiel bekommen.“ „Gegen die Schweiz konnte er noch nicht spielen, weil er noch nicht den deutschen Pass hatte. Den hat er dann beim nächsten Länderspiel gehabt.“ Das war am 17. Juni 1951 beim Spiel in Berlin gegen die Türkei.

Eine Rückkehr nach Rumänien nach Ende des Zweiten Weltkrieges hat nicht zur Debatte gestanden. Gisela Posipal: „Er ist ja auch nicht wieder nach Rumänien zurückgegangen, denn seine Kameraden, die zurückgegangen sind gleich nach dem Krieg, sind alle in Sibirien gelandet.“ Und weiter: „Seine Mutter hatte damals wohl geschrieben – das muss ja geklappt haben – er soll um Himmels Willen nicht nach Hause kommen.“

1943 musste Jupp Posipal sein Elternhaus verlassen, erst 18 Jahre später hat er seine Mutter wiedergesehen. Seine Mutter habe Rumänien allerdings nicht verlassen wollen, erinnert sich Gisela Posipal: „Die ist dageblieben, die wollte auch nicht weg.“ „Sie war zweimal in Deutschland, nachdem denn mit sehr viel Mühe mal so ein Besuchsvisum erstellt wurde, aber sie wollte immer wieder zurück, weil sie meinte, einen fremden Baum zu verpflanzen, ist schwierig. Mein Mann hat seine Mutter 1955 das erste Mal wieder gesprochen seit 1943. Die haben ja kein Telefon da gehabt.“ Den ersten Telefonkontakt zwischen Mutter und Sohn habe es erst nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft während einer UdSSR-Reise der deutschen Fußballnationalmannschaft gegeben: „Dann war ja das Länderspiel in Russland – Russland gegen Deutschland -, und unaufgefordert wurde ihm angeboten, mit seiner Mutter telefonieren zu können. Das wurde arrangiert, und da haben sie nach all den Jahren sprechen können. Und gesehen haben sie sich dann 1961 hier in Hamburg. Eher war nicht möglich. Es gab ja keine Ausreisegenehmigung.“ „Er war ein Einzelkind. Und das war natürlich besonders bitter“, beschreibt Gisela Posipal die Trennung von Mutter und Sohn.

Was zwischen der Nominierung für die Weltauswahl 1953 und der UdSSR-Reise 1955 geschah, ist reichlich zur Legendenbildung genutzt worden: Das Finale von Bern im Wankdorf-Stadion. „Dieses Spiel kann nicht übertroffen werden“, hat Horst Eckel einmal die Ereignisse zusammengefasst. Zehn Tage vor WM-Beginn hat Sepp Herberger sein Aufgebot bekannt gegeben. Jupp Posipal gehört dazu. Bis heute heißt es beim Hamburger SV, Posipal sei der einzige Weltmeister, den der HSV bis heute habe. Franz Beckenbauer, der von 1980 bis 1982 in der Hansestadt unter Vertrag stand, gehörte eben nie zum HSV.

„Wir begriffen es nicht, als wir nebeneinander standen und die Nationalhymne hörten. Jeder hat ohne Aufforderung die Hand des Nebenmannes gefasst, so tief war das Gefühl der echten Kameradschaft“ hat Jupp Posipal den „Geist von Spiez“ einmal beschrieben. Dabei stand das Turnier in der Schweiz für den HSV-Spieler anfangs unter keinem guten Stern. „Alle Hoffnungen waren dahin“, hat Posipal einmal von den Zweifeln an seiner Form während des WM-Turnier gesagt. „Aber der Chef nahm das Risiko auf sich. Ich war gleich dabei. Doch meine Leistungen waren nicht überzeugend.“ Und: „In langen Spaziergängen baute mich Sepp Herberger wieder auf.“ Der hatte über Posipal nach dem Finale einmal gesagt: „Im Zentrum unserer Abwehr stand Jupp Posipal – ein Mann von unbestrittener Weltklasse.“ Es scheint funktioniert zu haben. Im Endspiel meldet er den ungarischen Spieler Czibor ab, den kannte er noch aus der gemeinsam in Lugoj verbrachten Schulzeit. Bei Herbert Zimmermann hieß es dann in der Reportage: „Wankdorf-Stadion in Bern.“ Keiner wankt. Der Regen prasselt unaufhörlich hernieder. Wir schreiben die 10. Spielminute. Ungarn führt bereits mit 2:0. Und was passiert? Posipal hat gestoppt. Souverän gestoppt.“ Was dann geschah, ist Allgemeinwissen: 3:2, Legenden und Mythen, für ein Team das Wunder, für das andere die Wunde von Bern.

Bis 1956 spielte Posipal insgesamt 32 Mal in der Nationalmannschaft, war Stellvertreter Fritz Walters als Kapitän. Und 1958 war ganz Schluss mit dem Profi-Fußball. Seine Frau Gisela fasst die Zweifel daran zusammen: „Er hat mit 30 hat er aufgehört. Das habe ich immer nicht verstanden. Ich habe gedacht: Das schafft er nicht, weil er ein leidenschaftlicher Fußballer war. Ne ne, mit 30 war Schluss. Und dann kam eben der Beruf dran.“ Er habe früh aufgehört, „weil der Beruf wichtiger war“.

So unauffällig er abseits des Platzes während der aktiven Zeit war, so solide lebte Posipal später: Keine Affären, keine Skandale, keine Probleme. Für ein süddeutsches Möbelunternehmen übernahm er die Vertretung für Norddeutschland – ein Unternehmen, das Jupp Posipals Sohn Peer – früher selbst Profi-Fußballer – übernommen hat und seither erfolgreich weiterführt. Das Erfolgsrezept ihres Mannes kennt Gisela Posipal: „Er war ein bescheidener Mensch. Fleißig. Höflich. Können Sie alle fragen.“ Und: „Er war ein einmaliger Kumpel, er war kein Star. Ganz einfach. Er war ganz normal, war ein vorbildlicher Mannschaftskäpt’n, hat seine Mannschaft gut geführt, dass keiner überschnappte, dass alle schön auf dem Teppich blieben. Und in der Kundschaft reden sie immer noch. Mein Sohn hat das ja übernommen. Ein ehrlicher Kaufmann. Er war kein Schwätzer und vor allem kein Angeber.“

Ein ganz ähnliches Urteil hat Uwe Seeler, den Posipal beim HSV nicht nur Mitspieler, sondern auch Vorbild gewesen ist: „An ihm haben wir uns orientiert, er war sozusagen unser Leithammel, menschlich eine Granate.“ Und an anderer Stelle meinte Seeler über seine Leitfigur: „Er war einmalig und herzensgut.“ Am 21. Februar 1997 ist Jupp Posipal an Herzversagen gestorben.

In Wiedenbrügge, wo sich früher der Fußballplatz des Sportvereins „Blau-Weiß“ befand, soll am Sonnabend, 18. Juni, ein Gedenkstein für Jupp Posipal, enthüllt werden. Ein einfacher Findling mit Metallplatte und schlichter Inschrift, die daran erinnern soll, dass unmittelbar nach Kriegsende Jupp Posipal in der Seeprovinz Fußball gespielt hat. „Das hätte zu ihm gepasst“, urteilt Peer Posipal über den zurückhaltend gestalteten Erinnerungsstein für seinen Vater.

Vielen Dank an Harm Wörner, Uwe Brinkmann und Wilfried Hentschke für die engagierte Recherche in Wölpinghausen und Wiedenbrügge. 

Weltstar aus Wiedensahl: Wilhelm Busch


Veröffentlicht am 16. Juli 2005 in den Schaumburger Nachrichten

Von Christoph Oppermann

Vorbemerkung: „Hochverehrter Herr! Wie ich anfang soll weiß ich nicht recht – denn von Leuten, die Sie zu kennen vorgeben, sind mir schwere Verhängnisse in Aussicht gestellt, wenn ich Ihnen mein Anliegen unterbreite. Aber schließlich ist es doch kein Verbrechen, wenn man einem Menschen sagt, wie sehr man ihn bewundert und liebt und welch unvergeßliche Stunden man ihm verdankt.“ Leicht scheint es dem Redakteurskollegen vom „Berliner Tageblatt“ nicht gefallen zu sein, Wilhelm Busch um ein paar Zeilen anlässlich dessen 70. Geburtstages zu bitten. Damals konnte sich Busch zur Wehr setzen, hielt Journalisten und Gratulanten auf Distanz, sogar den Kaiser fertigte er buchstäblich im Telegrammstil ab. Scheinbar unzählige Autoren – Kenner und Laien – haben sich an Busch versucht und abgearbeitet. Den einen Schlüssel, der zu allen Hintergedanken, Absichten, Anspielungen Zugang gibt, hat niemand gefunden. So werden die zum Lebensende immer vertrackter und verschlüsselter scheinenden Geschichten ebenso wenig endgültig zu erklären sein wie der phantastische Erfolg, den der Kaufmannssohn aus Wiedensahl gehabt hat. Er bleibt ein Mensch voller Rätsel und Widersprüche – ein Versteckspieler.

Neben den Streichholzschachteln liegt eine Papiertüte in der Vitrine. Auf der Fensterbank darüber stehen ein blechernes Bierfässchen und eine überdimensionierte Bierflasche. Alle zieren Motive aus der Bildergeschichte „Max und Moritz“. Bierdeckel in der nächsten Vitrine, darunter kleine Behälter mit Kaffeesahne. Richtig, auch die versehen mit „Max und Moritz“ en miniature. In einem weiteren Schaukasten reiht sich eine Ausgabe an die nächste – wieder „Max und Moritz“. In Lettisch und Ukrainisch, in schwedischer und isländischer Sprache, auf Finnisch und Esperanto, im Kohlenpott-Slang und Pfälzer Dialekt.

Bis vor kurzer Zeit waren die Ausstellungsstücke im Souterrain des Hauses von Jobst Wöbbeking in Beckedorf zu finden. Wöbbeking ist leidenschaftlicher Sammler: Scheinbar ist jede Sorte bedruckbarer Gegenstände bereits einmal mit einem Motiv von Wilhelm Busch versehen worden, vornehmlich mit Szenen aus der Geschichte von „Max und Moritz“. Einen Teil seiner umfangreichen Kollektion hat Wöbbeking dem Wilhelm-Busch-Geburtshaus in Wiedensahl bereits vermacht. Jetzt packt der pensionierte Lehrer und passionierte Busch-Kenner wieder Kisten – weitere Ausstellungstücke für die Busch-Gedenkstätte in Wiedensahl. Wöbbeking ist nicht nur Sammler, sondern Kenner. Mit der „Bubengeschichte in sieben Streichen“ hat er sich besonders intensiv auseinandergesetzt.

Wilhelm Busch ist Anfang 1865 32 Jahre alt und würde nach heutigen Maßstäben als nicht sonderlich erfolgreich bezeichnet werden. Nach zeitgenössischen Kriterien ebenso wenig. Ein Maschinenbaustudium in Hannover hat er abgebrochen, zwei Versuche, an Kunstakademien Fuß zu fassen, mit sich selbst unzufrieden beendet. In Wolfenbüttel hält er um die Hand der 17 Jahre alten Anna Richter an, doch deren Vater gilt er als Hungerleider. Aus der Hochzeit wird nichts. Außerdem hat er wirtschaftlich wirklich keinen Erfolg.

Von 1858 an hatte Busch mit dem Verleger Caspar Braun zusammengearbeitet. Der zahlte miserabel, und Busch wollte die Verbindung lösen. Er offerierte eine Bildergeschichte dem Dresdener Heinrich Richter, doch auf Intervention seines berühmten Maler-Vaters Ludwig Richter lehnte der junge Verleger ab. Pech gehabt. Denn jetzt übte sich Busch im Kotau vor Braun: „Mein lieber Herr Braun! … Ich schicke Ihnen nun hier die Geschichte von Max und Moritz, die ich zu Nutz und eignem Plaisir auch gar schön in Farben gesetzt habe, mit der Bitte, das Ding recht freundlich in die Hand zu nehmen und hin und wieder ein wenig zu lächeln. Ich habe mir gedacht, es ließe sich als eine Art kleiner Kinder-Epopoe vielleicht für einige Nummern der fliegenden Blätter und mit entsprechender Textveränderung auch für die Bilderbögen verwenden.“, schrieb Busch am 5. Februar 1965 aus Wiedensahl. Braun war cleverer. Er machte ein ganzes Buch daraus, fand Busch mit 1000 Gulden ab – und verdiente selbst eine Menge Geld damit. Über die Gründe mag man spekulieren – zum 70. Geburtstag 1902 überwies der Verlag Busch noch einmal 20 000 Goldmark, doch der war längst nicht mehr darauf angewiesen und leitete die späte Zahlung zu gleichen Teilen an das Clementinenhaus und das Henriettenstift – Krankenhäuser in Hannover – weiter.

Eines bleibt unklar: Wann genau sind die sieben Streiche erschienen? Der WDR hat bereits am 4. April den „Stichtag 140 Jahre Max und Moritz“ gemeldet. In seinem Buch „Der Versteckspieler – Die Lebensgeschichte des Wilhelm Busch“ nennt Herbert Günther hingegen den Juli 1865 als Veröffentlichungstermin. Belege scheint es nicht zu geben, bestenfalls Indizien, denn die Unterlagen des Verlages Braun & Schneider sind, so Busch-Kenner Wöbbeking, am 7. Januar 1945 bei einem Bombenangriff auf München zerstört worden. Wahrscheinlicher als der April-Termin ist die Auslieferung zu einem späteren Zeitpunkt. Knapp 100 Zeichnungen umfasst die Sieben-Streiche-Geschichte, die er seitenverkehrt auf Holzstücke zeichnen musste. Buschs spätere Aussagen über die Produktionszeit anderer Arbeiten lassen den Schluss zu, dass die Bilder von „Max und Moritz“ kaum in zwei Monaten entstanden sein können, zumal Druck und Buchbinderarbeiten nicht berücksichtigt sind.

Klar ist indes zweierlei: Die Geschichte der beiden Rotzlöffel ist kein reines Produkt des „Lustwandelns in den Laubengängen des intimeren Gehirns“. Außerdem ist die „Bubengeschichte“ nicht nur eines der bekanntesten Bücher der Welt, sondern war stilbildend.

„Hier war er frei. Hier tollte Heinrich, Christian Wilhelm Busch, geboren am 15. April 1832 zu Wiedensahl im Königreich Hannover, als Kind mit den anderen aus dem Dorf herum, den Hütejungen, den Bauernmädels. … Hierher kehrte er auch immer wieder, als das Leben ihm den einen oder anderen Streich gespielt hatte, als er ein skeptischer, illusionsloser, bisweilen sarkastischer und dennoch am Ende heiter-amüsierter Beobachter des menschlichen Treibens geworden war“, schreibt der aus Hannover stammende Autor und Journalist Martin Tschechne in seinem Buch „Auf den Spuren von Wilhelm Busch“. Nur: Vor der Rückkehr steht der Weggang, im Falle Buschs sogar besonders früh. Das Elternhaus in Wiedensahl wurde zu eng, als Wilhelm neun Jahre alt war. Seine Eltern schickten ihn zum Onkel Georg Kleine, der Pastor in Ebergötzen war. So bitter die Trennung von Eltern und Geschwistern gewesen sein mag, im Nachhinein war der Umzug ein Glücksfall. Dem klassischen Bild eines norddeutschen Pfarrers lutherischer Prägung kann Kleine kaum entsprochen haben. Weltoffen, tolerant, neu- und wissbegierig – so ist er und dazu hält er seinen Neffen an. Und unterstützt diesen bei den ersten Zeichenversuchen, die außergewöhnliches Talent offenbaren. „Warum eigentlich hat noch niemand diesem Georg Kleine ein Denkmal gesetzt? Eine Schule nach ihm benannt? Weil er nur praktisch bewiesen hat, was viel später erst theoretisch ausformuliert wurde? Dass Genie nämlich Anregung braucht, entfaltet werden muss“, schreibt Tschechne in seinem kürzlich erschienen Busch-Band. Und nicht nur Wilhelm Busch kommt in den Genuss privater Unterrichtsstunden, die so gar nichts mit dem Prügel-Frontal-Unterricht zu tun haben, der zu der Zeit üblich war. Gleich bei seiner Ankunft begegnet er dem Sohn des Mühlenbesitzers, und er freundet sich mit Erich Bachmann an. Max und Moritz haben sich in Ebergötzen getroffen.

Völlig ungetrübt indes sind auch die Jahre im Pastorenhaushalt des Onkels nicht gewesen. Erfahrungen mit dem Tod gehörten dazu, und auch eine „Jagdreise“, die Busch von seinem Onkel bekommen hat. Eine wohlbemerkt, und die auch eher symbolisch als körperlich schmerzhaft. Vielleicht ist sie ihm deshalb so gut in Erinnerung geblieben. Prägend indes waren andere Erfahrungen: Das gemeinsame Lernen mit dem Freund Erich Bachmann, der Unterricht des Onkels und der Zugang zu neuen Dimensionen im Denken. Dazu die Erlebnisse mit Freund Erich beim Spielen, die zumindest teilweise Eingang in die Geschichten von Max und Moritz gefunden haben. Einige Prägungen bleiben erhalten und sichtbar. Die Freundschaft zu Bachmann hält ein Leben lang. Bachmann ist am 12. August 1907 gestorben, Busch am 9. Januar 1908. Der Kontakt ist nicht nur nicht abgerissen. Beide haben Anteil am Leben des anderen genommen, Belege dafür gibt es reichlich. Zeitlebens bleibt Busch einer bemerkenswerten Lebensform zugewandt. Obwohl Zweifler, Skeptiker und mit einem gelegentlich problematischem Verhältnis zur Kirche behaftet, lebt er fast ausschließlich in Pastorenhaushalten, die meistens kleine niedersächsische Häuser sind. Ausflüge in „die große, weite Welt“ enden häufig mit Enttäuschung, manchmal sogar im Eklat. Fluchtpunkte bleiben immer die kleinen norddeutschen Pfarrhäuser, in denen seine Familie lebt, und mehr als sechs Jahrzehnte eben Wiedensahl. „Hier sind die allermeisten seiner Geschichten entstanden“, hat Gerhard Dreyer, Vorsitzender des Förderkreises Wilhelm Busch Wiedensahl vor wenigen Tagen bei einer Feierstunden erwähnt – zu Recht. Haben sich Max (Erich Bachmann) und Moritz (Wilhelm Busch) auch in Ebergötzen kennengelernt – Gestalt haben die beiden Figuren in der Abgeschiedenheit Wiedensahls bekommen. Dorthin war Busch nach erfolglosen Aufenthalten in Hannover, Düsseldorf und München zurückgekehrt. Vielleicht waren die eigenen Ansprüche zu hoch – als Kunstmaler hat er sich selbst nicht genügt. Enttäuscht wieder in Wiedensahl angekommen, kultivierte er die Bildergeschichte als Darstellungsform mit den sieben Streichen als letztlich großartigem Erfolg. Den „Nebenwegen“ der Kunst ist er treu geblieben, ziemlich zumindest. Ausflüge hat er immer wieder unternommen in die „ernsthafte Malerei“, in die Dichtung, aber der Maßstab – das war „Max und Moritz“. Keine seiner Arbeiten war wirtschaftlich hinterher solch ein Erfolg – in diesem Fall leider nicht für den Urheber, der war ja mit 1000 Gulden abgefunden. Die Darstellung zweier Jungen voller Streiche und Bosheit hat den Künstler aus Wiedensahl weltberühmt gemacht.

Jobst Wöbbeking hat recherchiert. In mehr als 120 deutsche Dialekte und plattdeutsche Sprachformen sind demzufolge die sieben Streiche, die böse, böse für die beiden Jungen enden, übersetzt worden, außerdem in 200 Fremdsprachen und Dialekte. Damit sei „Max und Moritz“ das Kinderbuch mit der weltweit größten Verbreitung. Teilweise skurril Anmutendes ist das Resultat dieser Verbreitung. Die Streiche und Straftaten sind juristisch gewürdigt worden, Mediziner haben sich der Geschichte angenommen, Psychologen die beiden Rüpel analysiert. Auch die studentenbewegte 68er-Generation, die vor nichts zurückschreckte, nicht einmal vor der Regierungsübernahme in Berlin, hat die Geschichte aus Wiedensahl adaptiert und – folgerichtig – in „Marx und Maoritz“ umbenannt. Aber auch für handfestere Behandlung musste die Geschichte herhalten. Vor allem gastronomische Betriebe haben die dauernde Behandlung Buschs kulinarischer Genüsse und menschlicher Schwächen aufgegriffen und die Ergüsse Busch’scher Zeichenkunst zu Werbefiguren umgearbeitet. Außerdem haben sich Versicherungen der Figuren bedient und Autohäuser, Brauereien und Spielehersteller. Sogar die hannoversche Üstra hat mit dem Begriff „Omnibusch“ geworben, und auch „TottoLotto“ hat sich beim „Weisen aus Wiedensahl“ bedient. Gibt es eigentlich Werbefiguren, die weiter verbreitet sind?

Stilbildend mit Wirkung bis in die Gegenwart ist Buschs „Max und Moritz“-Geschichte allemal gewesen. Nicht nur, dass er den Comic strip erfunden hat – in New York sind schnell die „Katzenjammer Kids“ erschienen, eine klare Adaption der niedersächsischen Geschichte. Auch bis heute gebräuchliche Lautmalereien haben mit dem Buch weite Verbreitung erfahren: „Max und Moritz, gar nicht träge, / Sägen heimlich mit der Säge, / Ritzeratze! voller Tücke / In die Brücke eine Lücke.“ „Doch die Käfer, kritze, kratze! / Kommen schnell aus der Matratze.“ Ziemlich viel Wirkung für 1000 Gulden.

Was aber hat den Erfolg gerade dieser Geschichte ausgemacht? Perfekte Reime sind es nicht, manches kommt holperig daher, zur Meisterschaft hat er diese literarische Form erst in späteren Werken gebracht. Auch die Bilder waren später häufig noch pointierter. Vielleicht, weil er sich nicht klüger gab, als er es seinen Lesern zubilligte. Busch-Kenner Wöbbeking beschreibt das so: „Busch zeigt Max und Moritz als Inkarnation eines triebhaften Lebenswillens, der in Schopenhauers Philosophie eine große Rolle spielt. Nach Buschs Meinung leben Kinder nun einmal ihre Vitalität noch ungezügelt und spontan aus. Wilhelm Busch, und daran besteht kein Zweifel, hat in seiner Geschichte, die allzu sichere, aber im Inneren morsche und verspießte Gesellschaft der Kleinbürger auf ironische Weise aufgedeckt und kritisiert.“ Beispiel gefällig? „Fließet aus dem Aug’, ihr Tränen! / All mein Hoffen, all meinen Sehnen. / Meines Lebens schönster Traum / Hängt an diesem Apfelbaum!“ Hier betrauert niemand den Tod nahester Verwandter, die Witwe Bolte beklagt den Verlust ihres Federviehs.

Es gibt keine Formel, die das Phänomen Busch erklärt. Er bietet für viele etwas, ohne beliebig zu sein. Vor allem Anreiz, sich wieder einmal mit dem wohl bekanntesten Kinderbuch der Welt zu beschäftigen. 140 Jahre sind für ein zeitloses Thema kein Alter.

 

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