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Christoph Oppermann / Medienblog

Kategorie: Alle (Seite 26 von 26)

Digitale Karawane

Nach …VZ, Stayfriend und MySpace – hat jemand eine ungefähre Vorstellung davon, wo wir uns in zwei Jahren digital treffen, wenn Facebook ebenso aus der Mode gekommen ist?

„Lokale News + Blogs + Communities“

Drehscheibe: „Wie kann man spannenden Lokaljournalismus für junge Leute im Internet machen? Seit fünf Jahren suchen die Macher der Online-Plattform fudder.de täglich eine Antwort auf diese Frage und sind dabei schon weit gekommen, wie der Grimme Online Award beweist, den sie 2007 erhalten haben. Markus Hofmann leitet das Projekt der Badischen Zeitung von Beginn an. Den fünften Geburtstag, den Fudder im Januar 2011 feierte, hat die Drehscheibe zum Anlass genommen, den Fudder-Chef Bilanz ziehen zu lassen.“

Die Erfahrungen Hofmanns und seiner Kollegen weisen einen Weg, mit dem wir uns schleunigst vertraut machen sollten – den der Diversifikation. Und zwar in mehrerlei Hinsicht.

Seit vielen Jahrzehnten waren wir verwöhnt mit einem, mit dem Königsweg im Vertrieb. Einmal täglich die Zeitung drucken, bis zum festgesetzten Zeitpunkt ausliefern, und die Kunden haben bislang sogar noch so viel Vertrauen zu uns, dass wir die Kosten dafür direkt vom Konto abbuchen dürfen. Davon träumt jeder Einzelhändler. Fortan werden wir sicher auch mit der Notwendigkeit konfrontiert sein, unsere Nachrichten als Ware nicht nur en gros, sondern auch en detail an den Kunden bringen zu müssen.

Flexibler müssen wir aber nicht nur in Fragen der Vertriebskanäle werden, auch mit Blick auf die Zielgruppen. Solange die Zahl der Alternativen übersichtlich war – drei TV-Programme, vier für die Mutigen, die auch die „aktuelle kamera“ nicht gescheut haben, Tageszeitung, Anzeigenblatt, das war‘s mit Informationsflut – konnte das letzte Argument gegen ein Abonnement noch mit einer intelligenten Buchstruktur entkräftet werden. Das galt für fast alle Altersgruppen. Letztlich war es eine Frage der Zeit, wann ein halbwegs durchschnittlicher Haushalt sich ein Tageszeitungs-Abo zulegte. Oder es überhaupt nicht konnte. Selbst diese Unterschiede verschwinden immer mehr.

Statt nur ein Produkt täglich auf den Markt zu bringen, werden wir die Inhalte auf bedeutend mehr Kanäle verteilen müssen.

Der Demokraten-Hype

Nicht nur gegen einen ordentlichen demokratischen Aufstand habe ich nichts. Auch nichts gegen die Begeisterung, die die Anti-Mubarak-Bewegung, in Europa entfacht. Aber fremd bleibt dabei einiges.

Mir ist aus den vergangenen Jahren und Jahrzehnten kein Leitartikel, kein Kommentar, keine Magazingeschichte erinnerlich, die die mangelnden Demokratie-Grundlagen in Ägypten thematisiert hätte. Im Gegenteil: Ägypten unter Mubarak, das war common sense und offizielle Lesart, war Garant für zumindest etwas Stabilität im Nahen Osten. Innerhalb weniger Tage ist aus dem Garanten nicht nur eine persona non grata auf der politischen Bühne geworden, selbst seriöse Titel haben aus dem Sadat-Nachfolger fast buchstäblich über Nacht einen Diktator, sogar Despoten gemacht. Derlei Berichterstattung ist nicht schlüssig.

 

 

JuLe: Junge Menschen erreichen

Wie machen wir aus jungen Menschen künftige Zeitungsleser und hoffentlich auch Abonnenten der Zukunft? Diese Frage bewegt die Branche nicht erst seit kurzer Zeit, doch haben die Diskussionen dazu in den vergangenen Monaten erheblich an Dynamik gewonnen, nämlich seit der BDZV und TBM JuLe, die Initiative Junge Leser, aus der Taufe gehoben haben.

Das erste JuLe-Treffen von Kollegen aus Redaktionen und Verlagen hat eines deutlich gezeigt: Wir suchen Auswege vornehmlich im Printbereich: mit Jugendredaktionen, ZiSch-Aktionen und vor allem Jugendseiten in den Zeitungen. Offenkundig haben wir nicht nur die falschen Antworten, sondern beschäftigen uns auch mit den falschen Fragen.

Dazu wieder ein paar Thesen als Fortsetzung des ersten JuLe-Textes:

  1. Wenn der Kunde nicht zum Angebot kommt, müssen wir dem (jungen) Kunden unsere Ware direkt bis auf den Computer, das iPhone, das iPad liefern.
  2. Unser Job ist nicht primär das Bedrucken von Papier, sondern das Sammeln, Verfassen, Verarbeiten und Veröffentlichen von Nachrichten.
  3. Wir wollen aus jungen Menschen Abonnenten von morgen machen, statt diese als Partner, User und mögliche Kunden von heute zu betrachten. Warum wollen wir erst mit 30-Jährigen in eine Geschäftsbeziehung treten, nicht aber mit 20-Jährigen?
  4. Anders als noch vor wenigen Jahren gibt es heute mehr Möglichkeiten, junge Menschen direkt zu erreichen. Standen Verlagen und Redaktionen vor wenigen Jahren – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nur Printprodukt und eine Internetseite zu Verfügung, gibt es heute zahlreiche weitere Vertriebskanäle in den social media. Von konsequenter Nutzung dieser Möglichkeiten in den Verlagshäusern kann derzeit gar keine Rede sein.
  5. Die Verlängerung gedruckter und auf Internetseiten der Zeitungen veröffentlichter Beiträge über Facebook, Twitter und andere social media ist nur der erste Schritt weiterer Kunden- und Leserwerbung.
  6. Redaktionen und Verlage haben bedeutend mehr Ware vorrätig, als sie tatsächlich anbieten: Terminübersichten, Bildergalerien, maßgeschneiderte digitale Informationspakete statt nur einer Zeitung für alle. Zeitungen mit Ticketshops können von der Veranstaltungsankündigung bis zum e-Ticket alles aus einer Hand liefern.
  7. Wir müssen uns auf immer kürzere Technik-Intervalle einrichten. Vor zwei, drei Jahren waren die VZ-Anwendungen und MySpace das Maß der digitalen Dinge, derzeit ist es Facebook, und niemand kann derzeit sicher vorhersagen, auch welcher Plattform sich (junge) Menschen in zwei Jahren tummeln.
  8. Wenn wir als Tageszeitungsverlage diese Angebote authentisch machen wollen, müssen wir uns von vielen Gewissheiten und Grundlagen unserer täglichen Arbeit verabschieden: vom sechs-Tage-Rhythmus, der gerade das für Lokalzeitungen hochinteressante Wochenende unterbelichtet lässt; vom einmaligen Update unseres Angebotes mit der Drucklegung in der Nacht; vom Schreiben für alleine einen Kanal und nur eine undefinierte Zielgruppe.

Thesen zu Problemen bei und mit Jugendseiten.

 

 

 

 

 

Probleme bei und mit Jugendseiten

Endlich einmal versuchen Zeitungsverlage, mit Blick auf den Jugendmarkt und junge Erwachsene im Focus, ihre Kompetenzen und Ressourcen zu bündeln. Hier ein Fazit nach zehn Jahren in der Praxis einer kleinen Tageszeitung. Welchen Effekt hat eine Jugendseite in der Tageszeitung? Die vermeintliche Bilanz ist tatsächlich eine Thesensammlung und reizt hoffentlich zum Widerspruch. Das komplette Papier gibt es für JuLe-Mitglieder in Kürze auf der JuLe-Plattform.

Fazit / Thesen:

  1. Die Seite hat keine erkennbare Relevanz bei der Zielgruppe. Auch nach einigen Jahren hat sich das Label der Seite nicht als Jugendmarke etablieren können.
  2. Jugendredaktionen als Urheber von Jugendseiten funktionieren nur in Ballungsräumen, nicht jedoch in Mittelzentren, weil die Zahl derer, die zur Mitarbeit bereit und fähig sind, prozentual zu niedrig ist, außerdem die Bereitschaft zur dauerhaften Bindung und Mitarbeit gegen jeden soziologisch feststellbaren Trend liefe.
  3. Die Zielgruppe ist vollkommen ungenau definiert: Wollen wir Abonnenten von morgen oder Kunden von heute gewinnen? Oder beides?
  4. Angebot und dessen Struktur sind noch vollkommen ungenau definiert.
  5. Wir sind immer noch vollständig alten Denkstrukturen verhaftet: Wir sind eine Zeitung, und wir versuchen, junge Leute und Tageszeitung übereinzubringen.
  6. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass junge Menschen, die üblicherweise keine Zeitung zur Hand nehmen, dieses ohne Anreiz an einem bestimmten Wochentag tun sollten in der Hoffnung, auf einmal versteckt im Produkt eine Seite zu finden, die mit für junge Menschen interessanten Inhalten bestückt sein könnte. Die Hoffnung auf Realitätstauglichkeit dieser Annahme konkurriert stark mit dem Selbstbetrug, man selbst sei statistisch nur noch wenige Wochen von „6 Richtigen mit Zusatzzahl“ entfernt.
  7. Jugendseiten in Zeitungen sind Erfindungen und Lieblingskinder von Redakteuren, Verlegern und Sponsoren. Mit dem Rezeptionsverhalten zahlreicher Zielgruppen haben solche Ghettoseiten tatsächlich nur wenig zu tun.

Lösungsansätze gibt es bereits, und diese scheinen auch praktikabel. Mehr dazu später.

Der Zeit voraus

Busch Selbst

von Christoph Oppermann

Dieses Selbstbildnis ist verräterisch: Wilhelm Busch malte sich in holländischer Tracht – und zwar so, als hätte ein Altmeister des 17. Jahrhunderts zum Pinsel gegriffen. Den holländischen und flämischen Klassikern eiferte er tatsächlich nach, spätestens, nachdem ihn sein Ausbildungsweg von Düsseldorf nach Antwerpen geführt hatte. Genrebilder entstanden, lebenspralle Szenen in bräunlichen Tönen und stimmungsvolle Landschaften. Doch wirken diese Gemälde epigonal. Anerkennung blieb Busch denn auch versagt. Ein gescheiterter Maler, so fing es an.“ Gescheiterter Maler – ein harsches Urteil. Gefällt hat es Volkhard App vor einigen Jahren in einem Beitrag für „DeutschlandRadio Berlin“ anlässlich einer Busch-Ausstellung in Oldenburg.

Dasselbe Werk, andere Perspektive – der Busch-Biograf Martin Tschechne schreibt über das „Selbstbildnis in holländischer Tracht“: „Ein Bild belegt die Tragik einer Künstlerexistenz.“ In diesem Selbstportrait berufe sich Busch überdeutlich auf die großen flämischen Vorbilder, die ihn einst als Student bis zur Lähmung beeindruckt hätten. Und weiter: „Die Malerei sah er fortan nur noch als private Zuflucht – berühmt und wohlhabend aber wurde er als Erfinder und Vorreiter eines Genres, dessen künstlerischen Wert er nie recht akzeptieren mochte: der schnellen, pointierte Karikatur, der launigen Bildergeschichte, des Comic Strip.“ Sehr traditioneller Ansatz – das wäre eine mögliche Wertung Busch’scher Frühwerke im Ressort Malerei. Rückwärts gewandt – ein noch härteres Urteil. Da wirkt der aktuelle Ausstellungstitel des Busch-Museums in Hannover  „Avantgardist aus Wiedensahl“ fast wie eine Provokation.

Am 15. April jährt sich Wilhelm Buschs Geburtstag zum 175. Mal. Anlass genug, sich mit dem Mann aus Wiedensahl auseinanderzusetzen. Eines vorweg: Es gibt – mit ziemlicher Sicherheit – keinen ultimativen Zugang zum „Weisen aus Wiedensahl“, keinen Schlüssel, der alles erklärt, alle Widersprüche auflöst. Das macht die Auseinandersetzung mit dem Zeichner, Dichter und vor allem mit dem Maler so interessant. Im Wilhelm-Busch-Jahr werden Einsteigern und Kennern zahlreiche Möglichkeiten geboten, sich über den Wiedensahler zu informieren, sich mit dessen umfangreichen Werk und der gelegentlich sperrig wirkenden Biografie auseinanderzusetzen. Vier dieser zahlreichen Wege scheinen dabei besonders viel zu versprechen.

Vor zwei Jahren hat Martin Tschechne eine brillante Biografie veröffentlicht: „Auf den Spuren von Wilhelm Busch.“ Sicherlich nichts für Puristen. Tschechne ist Journalist durch und durch, und so setzt sein Buch vor allem auf Verständlichkeit, ohne dabei zu vereinfachen. Seine Stärken sind präzise Beobachtung und eine Sprache, die den Leser an allen Entdeckungen, Rückschlüssen und Vermutungen teilhaben lässt.

Einen weiteren Zugang eröffnet der im vergangenen Jahr verstorbene Robert Gernhardt mit seiner Doppel-CD „Ein dreifach Tusch für Wilhelm Busch.“, die bereits vor einigen Jahren erschienen ist. Der Busch-Preisträger 2006 beschäftigt sich – sein Hörbild ist gegliedert in vier Abschnitte – mit dem Satiriker, dem Humoristen und dem Komiker Wilhelm Busch. Das allein lohnte die Anschaffung der CD allemal, doch spannend ist der Anhang. Im Gespräch mit Heiner Boehnke erklärt Gernhardt kurz, knapp, pointiert und zudem sehr unterhaltsam, was den Zeichner, den Dichter und den Maler Busch ausmacht. Kein Kunstgeschichts-Studium vonnöten und dennoch fundiert.

Der Geburtsort Buschs – Wiedensahl – ist die dritte Variante, Zugang zur Mehrfachbegabung Busch zu finden. Umschauen, erleben aufnehmen – das gibt schon einen Eindruck davon, wie die Bilder und Geschichten zustande gekommen sind, die später kulturelles Allgemeingut geworden sind.

Der vierte Weg führt über Hannover. Dort stellt das Wilhelm-Busch-Museum zu Ehren seines Patrons Zeichnungen und Bilder in gleich zwei Ausstellungen aus. Unter dem Motto „Pessimist mit Schmetterling“ werden mehrere hundert Gemälde, Zeichnungen und Drucke unter den Ausstellungstiteln „So viel Busch wie nie“ – was auch quantitativ durchaus wörtlich genommen werden darf – und „Avantgardist aus Wiedensahl“ zur Schau gestellt.

Was aber ist avantgardistisch an einem Mann, dem gleich zwei Kritiker bescheinigen, sich vor allem an der flämischen Schule ausgerichtet, gar epigonal gemalt zu haben? Tschechne schreibt in den „Spuren“: „Busch und die Malerei – das ist ein ewiger Kreislauf von Aufbruch und Entmutigung.“ Er zitiert Busch: „Ich befinde mich hier in Antwerpen sehr wohl u. kann mich nicht genug freuen, daß ich hier mit meinen Malstudien den Anfang gemacht habe. Jedenfalls lerne ich hier in einem halben Jahr eben so viel als ich Düßeldorf in einem ganzen gelernt haben würde.“ Soweit 1852 der junge Kunststudent über seine Aussichten. Als Maler jedenfalls hat er keinen Weltruhm erlangt.

„Nun ja, also als Maler ist er, wenn man so will, gescheitert“, attestiert Gernhardt im Gespräch mit Boehnke dem von ihm sehr verehrten Busch. „Er hat, glaube ich, in seinem Leben kein Bild verkauft.“ Und über die Bilder des Vorgängers äußert sich – in einem einige Jahre zurückliegenden Urteil, also ohne Bezug auf die aktuelle Ausstellungen in Hannover – der Frankfurter Kritiker, der, nebenbei, selbst einmal Malerei studiert hatte, dann aber wie Busch als Zeichner, Humorist und Dichter berühmt wurde: „Dass es jetzt ein Wilhelm-Busch-Museum gibt, dass die zeigt, ist sehr verdienstvoll, aber natürlich würde man die nicht in der Weise ausstellen, wenn es nicht den genialen Zeichner, komischen Zeichner Busch gäbe.“

Das Ganze hat in der Tat die von Tschechne beschriebene Tragik, den Hinweis darauf gibt Busch selbst in der letzten Fassung seines Selbstportraits „Von mir über mich“ von 1894: „Nachdem ich mich schlecht und recht durch den Antikensaal hindurchgetüpfelt hatte, begab ich mich nach Antwerpen in die Malschule, wo man, so hieß es, die alte Muttersprache der Kunst immer noch erlernen könne. In dieser kunstberühmten Stadt sah ich zum ersten Male die Werke alter Meister: Rubens, Brouwer, Teniers, Frans Hals. Ihre göttliche Leichtigkeit der Darstellung malerischer Einfälle, verbunden mit stofflich juwelenhaftem Reiz; diese Unbefangenheit eines guten Gewissens, welches nichts zu vertuschen braucht; diese Farbenmusik, worin man alle Stimmen klar durchhört, vom Grundbaß herauf, haben für immer meine Liebe und Bewunderung gewonnen.“ Und an anderer Stelle seiner knappen Autobiografie: „Von Lüthorst ging ich nach München. Indes in der damaligen akademischen Strömung kam mein flämisches Schiffchen, das wohl auch schlecht gesteuert war, nicht recht zum Schwimmen.“

Das wohl, dort hat aber Busch auch zu einer völlig neuen Darstellungsform gefunden, diese geprägt, die bis dahin unbestritten gültige Spaltung von Bild- und Wortkunst überwunden. Busch über das Entstehen der später so weltberühmten Bildergeschichten in „Von mir über mich“: „Die Situationen gerieten in Fluß und gruppierten sich zu kleinen Bildergeschichten, denen größere gefolgt sind. Fast alle hab ich, ohne wem was zu sagen, in Wiedensahl verfertigt.“

In Fluss geraten indes ist dabei noch sehr viel mehr. Busch hat nicht nur Genre-Grenzen überwunden, Dicht- und Zeichenkunst miteinander vereinigt, sondern den Grundstein für völlig neue Darstellungsformen gelegt. Gernhardt beschreibt auf der „Tusch“-Aufnahme, wie Busch die Grundlage für spätere Comics schuf: „Und so hat er ja unendlich viele Figuren, also er hat ja einen ganzen Kosmos von Figuren in die Welt gesetzt und die alle noch animiert. Also das ist etwas, was dann später ja in die Technik, in die Filmsprache übergegangen ist, die Animation, also das Beseelen, das hat er mit seinen stehenden Bildern gemacht, die wären ja auch ganz leicht ins Laufen zu bringen, also die könnte man als Eckphasen für einen Trickfilm benutzen. Er hat ja auch sehr, sehr filmisch gesehen schon, bevor es den Film überhaupt gab. Er hat die Großaufnahme eingesetzt, er hat die Totale eingesetzt, er hat also leise Schwenks eingesetzt, das müsste man allerdings im Fernsehen einmal vorführen, wie er da gearbeitet hat.“ Dabei habe, so Gernhardt, einen „traumwandlerisch sicheren“ Strich gehabt, sei ein „Naturgenie des Zeichnens“ gewesen und habe mit komischer Kunst vieles vorweg genommen, was die Hochkunst erst im 20. Jahrhundert eingeholt habe. Die beiden weltberühmten Lausbuben zum Beispiel, die durch den Kamin ins Mehl gefallen sind, Kopf nach unten, das sei ein vorweggenommener Baselitz. Dabei habe Busch jedoch nie eine Figur oder Idee zu Tode geritten und als Hochkomiker „unglaublich redlich gearbeitet“.

Das Witzige an Gernhardts Witz ist, dass man nie weiß, wo die Ernsthaftigkeit endet und die Parodie beginnt. Genau wie bei Busch. Der Gedanke aber ist es wert, weiter gesponnen zu werden: Weltruhm mit neuer Kunst, neuem Ansatz. Nur: Wie zufrieden konnte Busch damit sein? Der Begriff „brotlose Kunst“ kommt nicht von ungefähr, wenn er auch beim Wiedensahler überhaupt nicht zutrifft, haben den doch seine Bildergeschichten und die Dichtung nicht nur zu einem berühmten, sondern auch zu einem wohlhabenden Mann gemacht. Aber komische Kunst? Heute noch nur wenig gut beleumundet, kaum, dass das Feuilleton – von Gernhardt, Waechter und Bernstein vielleicht abgesehen – davon überhaupt Kenntnis nimmt, geschweige denn hat. Eckhard Henscheid hat einmal Klage darüber geführt, dass kaum ein Dutzend Feuilletonisten in Deutschland überhaupt zwischen Humor, Satire, Komik, Parodie und anderen Spielarten zu unterscheiden wisse. Das wird zu Buschs Zeit kaum besser gewesen sein.

Erfolgreich ja, bekannt – unbedingt. Wenn es auch sonst keine Bücher in einem deutschen Haushalt gibt, das Backbuch von Dr. Oetker und ein Busch-Hausalbum werden sich immer finden. Aber ernsthafte Anerkennung? Busch hat sich auch nicht weiter darum bemüht, seine Bilder nicht der öffentlichen Kritik gestellt. Nie gab es zu Lebzeiten eine Ausstellung, und verkauft, wie Gernhardt vermutete, hat er auch nichts. Deshalb ist der Titel der zweiten aktuellen Ausstellung in Hannover – „So viel Busch wie nie – völlig berechtigt. „Nur ganz wenige Menschen, die ihm nahe standen, wussten, dass er nicht nur Bildergeschichten zeichnete, sondern ein ernsthafter Maler war“, lässt sich der Direktor des Wilhelm-Busch-Museums, Hans Joachim Neyer, zitieren.

Das ist heute noch so. Und wenn auch jeder Zeitgenosse Buschs dessen Entwicklung als Schöpfer einzigartiger Bildergeschichten verfolgen konnte, ist der Umstand, dass Busch auch in der Malerei ein Erfinder war, bis heute weitgehend unbekannt geblieben. Dabei sind – vielleicht nicht in demselben Maße, wie bei der Erfindung des Genres Bildergedicht – auch dort Dinge in Fluss geraten. Sorgsam und naturgetreu sind die frühen Zeichnungen und Bilder. Viele Zitate und Anleihen an frühere Epochen der Kunstgeschichte finden sich dort, auch für den Laien leicht zu ermitteln. Vor allem die Liebe zur flämischen Malerei bricht sich immer wieder Bahn, zumindest in den frühen Bildern.

Später aber gibt es zwei Bewegungen in Busch-Bildern, die scheinbar auf ein Zentrum hinsteuern: Die Formate werden kleiner, der Strich stärker. Das Ergebnis sind Bilder von beeindruckender Expressivität, und schließlich, gegen 1890, malt Busch in einem Maße abstrakt, dass es auch Fachleuten schwer fällt zu entscheiden, ob ein Bild hoch oder quer zu hängen ist. „Bäuerin im Stall/Sonnenaufgang“ ist ein Bild betitelt, das in der Tat beide Deutungen zulässt, abhängig davon, ob das Bild quer (Sonnenaufgang) oder hoch (Bäuerin im Stall) angebracht ist. Die Museumsbesucher können das selbst auch anhand einer Reproduktion  des Bildes „Waldlichtung mit Rotjacke“ ausprobieren. Dinge geraten in Fluss. Zum Schluss zeichnet Busch abstrakt in einem Maße, wie es in der europäischen Malerei erst etwa 30 Jahre später, Anfang des 20. Jahrhunderts, en vogue war.

Und noch in einer weiteren Sparte war Busch seiner Zeit weit voraus. Als Maler, Zeichner und Erfinder des Comics wird er in den aktuellen Ausstellungen im Busch-Museum ausführlich gewürdigt. Auch die „vierte Dimension“, Busch als Prosa-Autor, wird aufgearbeitet, ist als Installation fast selbst Kunst. „Eduards Traum“, Buschs surreales Prosawerk – auch darin seiner Zeit eine Reihe von Jahren voraus -, hat im Auftrage des Museums Eckhard Siepmann zu einer Installation verarbeitet, die sich über drei Kabinette erstreckt. Das ist nicht nur aufregend umgesetzt, sondern erleichtert den Zugang zu diesem so verschlüsselten Werk ungemein.

Von spätem Ruhm haben Verstorbene in der Regel nichts. Zudem steht auch gar nicht zu befürchten, dass der Wiedensahler nachträglich in Reihe mit Rubens und Hals gerückt wird. Buschs 175. Geburtstag und die damit einhergehenden Ausstellungen, Veröffentlichungen und Würdigungen bieten jedoch die Chance, sich nicht nur mit dem Erfinder des Comic Strips auseinanderzusetzen, sondern auch kunstgeschichtlich Spannendes zu erfahren. Egal, ob man sich für flämische Malerei oder schnell gezeichnete Konturwesen begeistert, die den Gesetzen der Schwerkraft trotzen.

 

 

 

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