Oppermann.co.uk

Christoph Oppermann / Medienblog

Schlagwort: Digitales (Seite 3 von 3)

#tag2020 geht weiter

#tag2020 geht weiter. In zwei Wochen will der SPIEGEL aus den Vorschlägen, etwa 1000 sollen es sein, eine Vision für die Tageszeitungen der Zukunft zusammengesetzt sein.

Wer der Debatte folgen will, kann das auch über das MedienMagazin erledigen. Dort sind die wesentlichen Beiträge versammelt.

#tag2020

Bildschirmfoto 2013-08-19 um 17.23.55

 

Was von dieser bislang bizarren, in Teilen schrillen Debatte wohl mal in Erinnerung bleibt oder gar Wirkung hat?

Die SPIEGEL-Seite

Die Debatte im MedienMagazin

Zeitungskrise: Und wen interessiert’s?

„Einziger Trost: Deutsche Zeitungen können nicht in China zu Dumping-Preisen zusammengeschrieben werden.“ (Cordt Schnibben, SPIEGEL)

Sicher?

……….

 

Hui, jetzt – den Fünfer packe ich gleich mal ins Phrasenschwein – rauscht’s aber mächtig im Blätterwald. Die Medienbranche gibt sich tüchtig verblüfft über den Springer-Funke-Deal, und Kollegen, die der Nähe zu Axel Springer bislang vollkommen unverdächtig waren, machen sich nun Gedanken über das verlegerische Vermächtnis des BILD-Gründers. Dazu kommen regelmäßig Meldungen aus Verlagshäusern unterschiedlicher Größe über Stellenabbau, Horrormeldungen über wegbrechende Anzeigenerlöse, Branchendienste  ergehen sich nun bereits in Geschichten über Einzelschicksalen, die Unternehmerverbände dieser Branche pfeifen die Ergebnisse der aktuellen Media-Analyse durch den Wald, und die Krönung sind die reflexartigen Äußerungen der Journalisten-Gewerkschaften: „Qualitätsjournalismus hat seinen Preis.“ Das Ganze heißt Zeitungskrise, und der SPIEGEL widmet dem jetzt sein erstes flottes Multi-Channel-Projekt: „2020 – Die Zeitungsdebatte“.

Seine „Elf Vorschläge für bessere Zeitungen“ beginnt Cordt Schnibben so: „Scheinbar unaufhaltsam rauschen die Auflagen der Tageszeitungen nach unten. Seit sich der Springer-Verlag von seinen Regionalzeitungen trennen will, ist die Lage noch kritischer. Elf Vorschläge für lebensverlängernde Maßnahmen.“ Lebensverlängernde Maßnahmen? Und das ist erst der Anfang des Beitrages, der tatsächlich eine Menge Lesenswertes enthält, aber eben auch Fragwürdiges und Falsches. „Lebensverlängernde Maßnahmen“ bedeuten zwar einerseits die Chance auf Fortbestand, andererseits aber eben auch das sichere Ende. Nicht, dass Zeitungen das einzige auf dieser Welt sein müssten, das auf ewig weiterexistiert, aber die Haltung ist sagenwirmal nicht nur hoffnungsfroh. Grandios aber ist das Textfinale: „Einziger Trost: Deutsche Zeitungen können nicht in China zu Dumping-Preisen zusammengeschrieben werden.“ Da ist er wieder, der Grammatik gewordene Reflex. An diesem Satz ist heute schon nichts mehr richtig.

Reflexe nerven. Vielleicht nicht in medizinischer Sicht, aber in einer Debatte unter vermeintlich intellektuellen Zeitgenossen nerven sie. Mächtig. Zeit für ein paar Aspekte, die häufig zu kurz kommen:

„Qualitätsjournalismus hat seinen Preis.“: Der Satz, wie eine Monstranz präsentiert, ist inzwischen so klug wie die Aussage, dass es nachts kälter als draußen sei. Kann sein oder eben auch nicht, und schon die simple Gegenprobe stimmt nicht. Nicht alles, was kostet, ist in unserem Gewerbe auch mit Qualität gleichzusetzen. Nachrichten aus der Tagesschau-Redaktion kosten nicht wenig, und immer weniger Menschen verstehen diese überhaupt. Gut bezahlte Sportredakteure präsentieren mir in der Montagsausgabe jeder beliebigen deutschen Qualitätszeitung (muss die Qualitätszeitung in Anführungszeichen stehen, oder sind diese verzichtbar?) einen 100-Zeiler über das Spitzenspiel der Fußball-Bundesliga am Sonnabendnachmittag. Warum Montag? Warum 100 Zeilen tief gehender Analyse oder vielmehr das, was die Sportredaktion dafür hält? Welche Erkenntnis gewinne ich, die ich als Sportinteressierter nicht bereits am Sonnabendabend hätte? Geht es im Sport und dessen Darstellung nur um Rationalität? Die Antwort darauf hätte ich gern mal ohne Zorn und Eifer. Das soll nicht zum Sportressort-Bashing ausarten, dieses Phänomen gilt für praktisch alle Ressorts. „Der Print-Leser ist der Gefangene des Journalisten.“ Ein wunderbarer Satz in Schnibbens „Elf Vorschlägen“ – wie erwähnt, der Beitrag enthält viel Lesenswertes.

„Nur digital kann der Print-Journalismus langfristig noch neue Leser und neue Erlöse finden, im Netz, auf Tablets und Smartphones. Ohne dieses Eingeständnis hat die Zeitung keine Zukunft.“ (Cordt Schnibben). Wir sollten uns davor hüten, Auflagenverluste gedruckter Ausgaben der Digitalisierung anzulasten. Abonnenten haben wir alle in den zurückliegenden Jahrzehnten verloren, und zwar reichlich und ohne, dass es uns weiter beeindruckt hätte. Mehr als eine Generation von Redakteuren und Verlagskaufleuten hat sinkende Auflagenzahlen praktisch als Naturgesetz begriffen. Mit der kostenlosen Verfügbarkeit unserer Beiträge im Internet haben wir diesen Prozess allerdings noch befördert. Kein Bauer wäre jemals auf die Idee gekommen, nur für in Ein-Liter-Verpackungen abgefüllte Milch Geld zu verlangen und jedem anzubieten, das Zeug kostenlos zu bekommen, wenn man nur selbst mit einer Milchkanne anrücke. Vergleiche hinken? Egal. Wir sind den Weg in den vergangenen zehn, zwölf Jahren genauso gegangen. Der die Begründung dafür mitliefernde Klassiker im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts: „Klicks sind die Währung im Internet.“ Stimmt nicht ganz. Dollar und Euro.

„Qualitätsjournalismus hat seinen Preis.“: In fast allen Darstellungen lese ich immer wieder von den gut ausgebildeten Kollegen, die Qualitätsjournalismus liefern könnten und wollten. Lassen wir das „wollen“ mal beiseite („Der Print-Leser ist der Gefangene des Journalisten“) – reden wir alle von demselben Gewerbe und demselben Land? Es gibt einige hervorragend ausgebildete Redakteure, und die haben ihren Preis. Aber zumeist einen anderen, als uns die Journalisten-Gewerkschaften weismachen wollen. Heutzutage bekomme ich zu fast jedem Preis exzellente Autoren, die für Stundensätze zu arbeiten bereit sind, die eine Hilfskraft in der Burger-Butze locker schlägt. Und wer glaubt, dass eigentlich alle Redakteure gut ausgebildet würden oder seien, sollte sich gelegentlich mal wieder mit der Realität in Berührung bringen.

Der Verkauf von Zeitungstiteln, Konzentrationsprozesse und die Ungewissheit, ob für Nachrichten überhaupt noch Geld zu erwarten ist, all das muss niemandem gefallen. Aber wir erleben nichts, was nicht in anderen Branchen vollkommen normal ist: Konzentrationsprozesse, Verdrängung, das Verschwinden einzelner Produkte und neue Kreationen. Nur haben wir uns in der Zeitungsbranche lange gegen die Erkenntnis gewehrt, dass auch wir den Gesetzen des Marktes unterliegen. Wer das nicht möchte, wird in solch einer Wirtschaftsordnung nur den Weg über öffentlich-rechtliche Einrichtungen oder Stiftungen gehen können – aber mal im Ernst: Redakteur beim NDR? Dann den Weg konsequent gehen und Beamter werden. Es wird Redakteuren nichts anderes übrig bleiben, als tatsächlich sich und ihre „Zunft“ neu zu erfinden. Von mir aus hat Qualitätsjournalismus seinen Preis, wir finden nur immer weniger Kunden, die bereit sind, diesen Preis zu zahlen. Das ist aber nur möglich, wenn wir unsere Kunden nicht mehr als „Gefangene“ betrachten. Zu hoffen, wir könnten in der digitalen Welt Modelle finden wie das Abo der gedruckten Zeitung, ist vielleicht die schwächste Variante, die sogar noch hinter dem Lottospiel rangiert.

……….

 

SPIEGEL: „2020 – Die Zeitungsdebatte“

Meedia: „Warum Michalis Pantelouris dem Journalismus den Rücken kehrt“

Thomas Knüwer / Indiskretionehrensache.de: „Springer, Funke und das Schlimmste, das noch kommt“

Apps: Digitale Erlösquellen?

„Tag für Tag schwindet die Verleger-Hoffnung ein Stück, das Apple-iPad könnte als digitale Erlös-Quelle den Karren aus dem Dreck ziehen.“ So stellt kress.de eine OC&C-Studie über digitale Vertrieb vor. Dieser Einleitungssatz ist mutmaßlich mehr dem Wunsch geschuldet, einen lesenswerten Einstieg zu schaffen, als er Ergebnis seriöser Beobachtung darstellt. Oder nimmt auch nur ein Tageszeitungsverlag an, dass die Antwort auf sinkende Auflagenzahlen im Print tatsächlich in einer einzigen Applikation liegen?

Das wäre dramatisch. Auflagenverluste im Print durch App-Umsatz kompensieren zu wollen, wäre gleichbedeutend damit, die eigenen „analogen“ Fehleinschätzungen nun auch noch zu digitalisieren und das Pferd wieder von hinten aufzuzäumen. Statt technischen Entwicklungen hinterherzulaufen, müssten wir uns als Tageszeitungen endlich auf unsere Stärken besinnen. Vor allem auf unsere Stärken als lokale Zeitungen. Die Schwierigkeiten dabei manifestieren sich bereits im Sprachgebrauch, ist doch das Synonym für Zeitungen die „Presse“. Damit werden Nachrichtenverarbeitung und Vertriebsweg bereits zusammengefasst, und genau das gilt es zu trennen. Schleunigst.

Den einen, fast ultimativen Vertriebsweg über die Zustellung einer Abo-Zeitung, wie er uns seit bedeutend mehr als 100 Jahr lieb und teuer ist, wird es so auf Dauer nicht mehr geben. Ebenso wenig wird es einen einzigen Ersatz geben, mit dem wir Verluste im Print über einen einzigen Digitalkanal kompensieren können. Tatsächlich werden wir sehr viel kleinteiliger denken und arbeiten müssen, nicht nur grob definierte Zielgruppen im Auge haben müssen, sondern auch einzelne Leser bedienen müssen. Dabei müssen die Ergebnisse übrigens nicht zwingend ausschließlich digitaler Art sein. Vielmehr geht es darum, den eigenen Vorrat an Wissen und Informationen sorgfältiger zu strukturieren und breiter aufgefächert anzubieten.

Ein Beispiel dafür haben die Schaumburger Nachrichten mit der Marke „Leben31“ geliefert. Die „31“ steht für das Postleitzahlgebiet, und die Idee dahinter ist simpel und bestechend. Wenn es eine Chance gibt, ein möglichst großes Maß an Veranstaltungsterminen gesammelt zu finden, sind dies in der Regel Tageszeitungen, und ebenso fast gesetzmäßig haben die Tageszeitungsredaktionen bislang mit diesem enormen Vorrat nichts anderes gemacht, als eine geringe Auswahl an Terminvorschlägen im Tagesprodukt anzubieten. Die Kriterien, nach denen Termine in die Tageszeitungen geraten, und die Präsentationsformen sind ein Thema, dessen Behandlung diesen Blog-Eintrag spielend sprengen würde. Die Schaumburger Nachrichten haben mit „Leben31“ ein Veranstaltungsportal geschaffen, auf dessen Grundlage monatlich zwei Magazine erscheinen. Ein Leben31-Magazin mit einer Veranstaltungsübersicht für Schaumburg und angrenzende Bereiche als Beilage für Abonnenten, und ein Magazin mit dem Titel „Leben 31 Szene“, das sich an jüngere Menschen wendet, die üblicherweise noch keine Abos halten. Zu finden ist das Szene-Magazin dort, wo andere Veranstaltungsmagazine dieser Art ebenfalls zu finden sind: In Veranstaltungsspiel- und Gaststätten, darüber hinaus auch digital. Grundidee dahinter ist die Überlegung von Verlag und Redaktion, vorhandene Informationen zielgruppengenauer und umfassender zu präsentieren, als dieses über Veröffentlichungen in der eigentlichen Tageszeitung überhaupt möglich ist.

„Leben31“ gibt es erst seit einem Vierteljahr, steckt also noch in den Kinderschuhen, und es kann niemals vollständiger Ersatz für die Tageszeitung sein, weder in Erlös- noch Informationsfragen. Vielmehr muss dieses Vorhaben als das gesehen, was es tatsächlich ist:

  1. Der gelungene Versuch, vorhandene Ware, in diesem Fall Veranstaltungsinformationen aller Art, auch tatsächlich anzubieten und nicht in der Datenbank schlummern zu lassen.
  2. Einer von vielen Wegen, veränderten Ansprüchen der Leser, die nicht mehr nur Leser sind, gerecht zu werden.
  3. Ein interessanter Weg, Inhalte gedruckter und digitaler Art miteinander zu verknüpfen.
Neuere Beiträge

© 2024 Oppermann.co.uk

Theme von Anders NorénHoch ↑